Thronreden

13. März 1997

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 13. März 1997



Zur Wahl in den Landtag möchte ich Ihnen sehr herzlich gratulieren und Ihnen danken, dass Sie sich für diese wichtige Aufgabe in unserem Staat einsetzen. Nach rund 60 Jahren erleben wir das Ende der grossen Koalition, was für den Landtag, die Regierung und die Parteien eine neue Herausforderung bedeutet.

In den vergangenen Legislaturperioden konnten besonders in aussenpolitischen Fragen weitreichende Entscheidungen für unseren Staat getroffen werden. In dieser Legislaturperiode wird voraussichtlich die Innenpolitik, und zwar die Verfassungsfrage, im Vordergrund stehen. Dabei geht es in erster Linie um die zukünftige Stellung der Monarchie in diesem Staat. Bei meiner letzten Landtagsrede, aber auch bei anderen Gelegenheiten habe ich mich bereits ausführlich mit diesem Thema befasst. Dabei habe ich sechs theoretisch mögliche Modelle für unser Land aufgezählt, welche ich noch einmal kurz in Erinnerung rufen möchte:

1. Wir bleiben bei der heutigen Verfassung und halten uns an diese auch bei den Beamtenernennungen.

2. Der Fürst verzichtet auf einige Rechte, um Demokratie und Rechtsstaat zu stärken.

3. Der Fürst verzichtet auf alle Rechte, trägt aber auch keine politische Verantwortung mehr.

4. Eine Monarchie, bei der das Fürstenhaus nicht mehr das Staatsoberhaupt stellt.

5. Die Republik

6. Der Anschluss an eines unserer beiden Nachbarländer

Vor einigen Monaten hat die Freie Liste ihr Verfassungsmodell der liechtensteinischen Öffentlichkeit vorgestellt: Das Land soll weiterhin eine Monarchie bleiben; Autonomie und Hausgesetz des Fürstenhauses wären aufgehoben; der Fürst würde weiterhin politische Verantwortung tragen; die politischen Kompetenzen des Fürsten würden aber weitgehend auf die politische Oligarchie des Landes übertragen werden; Demokratie und Rechtsstaat werden nicht entscheidend gestärkt.

Im November letzten Jahres hat dann der Landtag sein Verfassungsmodell verabschiedet: Einerseits will der Landtag an der jetzigen Verfassung festhalten, andererseits hat er eine Reihe entscheidender Verfassungsänderungen oder Neuinterpretationen der Verfassung vorgeschlagen. Dieses Verfassungsmodell soll aber nur eine Zwischenlösung sein. Analysiert man die vorgeschlagenen Änderungen und Neuinterpretationen auf ihre praktische Auswirkungen hin, stellt man fest, dass sie in die gleiche Richtung zielen, wie das Verfassungsmodell der Freien Liste. Die Vermutung liegt nahe, dass in einem ersten Schritt die Monarchie geschwächt werden soll, um in einem zweiten das endgültige Verfassungsmodell zu verwirklichen. Wahrscheinlich ist nur einem sehr kleinen Kreis bekannt, wie dieses zweite Verfassungsmodell aussehen soll.

Der Erbprinz und ich haben bereits zum Bericht der vom Landtag eingesetzten Verfassungskommission eine Stellungnahme abgegeben. Für den Landtag ist es deshalb sicher keine Überraschung, wenn ich festhalte, dass wir bei dem vom Landtag verabschiedeten Verfassungsmodell ebenso wenig das Staatsoberhaupt stellen werden wie beim Verfassungsmodell der Freien Liste.

Im Landtag wurde bereits die weitere Vorgangsweise in der Verfassungsfrage diskutiert. Dabei wurde der Vorschlag gemacht, das Volk über das Verfassungsmodell des Landtages abstimmen zu lassen. Gegen diese Vorgangsweise ist nichts einzuwenden, allerdings wird der Landtag vorher die Frage beantworten müssen, wer denn in Zukunft in diesem Land das Staatsoberhaupt stellen soll.

Die Verfassungsdiskussion hat bis jetzt noch zu keiner Lösung geführt, was allerdings vor den Wahlen nicht zu erwarten war. Diese Diskussion war aber nicht zwecklos, denn drei der eingangs von mir erwähnten Modelle können mangels politischer Unterstützung ausgeschieden werden. Das betrifft die Republik und den Anschluss an ein Nachbarland, aber auch das Festhalten an der jetzigen Verfassung. Die Arbeit der Verfassungskommission und die verschiedenen Abstimmungen im Landtag haben mit grosser Klarheit gezeigt, dass für ein Festhalten an einer unveränderten Verfassung die politische Grundlage fehlt.

Abgesehen von der fehlenden politischen Basis wäre es aus einem weiteren gewichtigen Grund ein Fehler, am jetzigen Verfassungsmodell ohne Aenderungen festzuhalten. Monarchie und Demokratie werden im In- und Ausland häufig als natürliche Gegensätze betrachtet - meiner Meinung nach zu Unrecht. Halten wir am derzeitigen Verfassungsmodell fest, bieten wir unnötigerweise den versteckten und offenen Feinden der Monarchie eine Angriffsfläche. Darüber hinaus bietet es den Gegnern der Monarchie und des demokratischen Rechtsstaates einen willkommenen Vorwand, sich über die bestehende Verfassung hinwegzusetzen und nicht nur die Monarchie, sondern auch noch den demokratischen Rechtsstaat zu gefährden. Der neue Landtag wird sich deshalb sinnvollerweise nur noch mit drei Verfassungsmodellen auseinandersetzen müssen:

1. Der Fürst verzichtet auf einige ihm gemäss der alten Verfassung zustehende Rechte, um die Demokratie und den Rechtsstaat zu stärken.

2. Der Fürst verzichtet auf alle ihm gemäss alter Verfassung zustehenden politischen Rechte, trägt aber auch keine politische Verantwortung mehr.

3. Eine Monarchie, bei der das Fürstenhaus nicht mehr das Staatsoberhaupt stellt.

Der alte Landtag und die von ihm eingesetzte Verfassungskommission haben sich meiner Meinung nach allzu sehr mit einzelnen Artikeln und Paragraphen auseinandergesetzt und zu wenig verfassungsphilosophische Grundfragen diskutiert. Mit den wichtigsten Grundsatzfragen möchte ich mich im Folgenden auseinandersetzen:

Soll nach Meinung des Landtages das Fürstentum Liechtenstein ein Rechtsstaat sein? Ich glaube, der Landtag wird diese Frage bejahen müssen, denn die Alternative ist die Willkürherrschaft, und diese lehnen Volk und Fürst ab. Es gehört aber zu den wesentlichen Merkmalen des modernen Rechtsstaates, dass sich die gesamte Staatsverwaltung an Verfassung und Gesetze halten muss. Der Rechtsstaat wird in Frage gestellt, wenn seit Jahrzehnten kaum mehr ein Beamter gemäss Verfassung ernannt wurde. Die politische Unabhängigkeit der Gerichte ist ebenfalls ein Wesensmerkmal des modernen Rechtsstaates. Es ist unbefriedigend, wenn die Mehrheit und der Vorsitz in den höchsten Gerichtsinstanzen jeweils der wechselnden Mehrheit im Landtag angepasst werden oder das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen sind. Diese Situation ist nicht nur für den Rechtsstaat, sondern auch für die beteiligten Richter unbefriedigend. Die politische Krise um den Staatsgerichtshof in den achtziger Jahren, welche schliesslich nur durch eine vorzeitige Auflösung des Landtages beendet werden konnte, sollte uns zu denken geben.

Schon vor einigen Jahren habe ich angeboten, auf die Beamtenernennungen und das Vetorecht bei den Richterernennungen zu verzichten, dagegen das Vorschlagsrecht bei den Richterernennungen zu erhalten, um die politische Unabhängigkeit der Gerichte besser abzusichern. Mein Vorschlag würde es dem Landtag sogar ermöglichen, dem Fürsten den Richterkandidaten des Landtages aufzuzwingen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass dieser in einer Volksabstimmung mehr Stimmen erhält als der Kandidat des Fürsten. Dieser Vorschlag wurde bis heute nicht beachtet. Offensichtlich geht man davon aus, dass dem Fürsten bereits erfolgreich die Beamtenernennungen entzogen wurden und das Ernennungsrecht in den anderen Bereichen früher oder später in eine Ernennungspflicht des Fürsten verwandelt wird.

Diese Politik wird scheitern. Falls es nicht bald zu einer Lösung der Verfassungsfrage kommt, werde ich die Beamten wieder selbst ernennen. Die politische Oligarchie kann in einem demokratischen Rechtsstaat dem Fürsten nicht Rechte entreissen, indem sie sich über die Verfassung hinwegsetzt oder diese neu interpretiert. Um ihre politischen Ziele zu erreichen, muss sie sich auf das Schlachtfeld der Demokratie, an die Wahlurne, begeben. Dort entscheidet weder die Oligarchie noch die Monarchie, sondern das Volk.

Damit kommen wir schon zur nächsten Frage, mit der sich der Landtag auseinandersetzen sollte: Soll unsere Verfassung auf demokratischen, religiösen oder ideologischen Grundlagen ruhen? Mit diesem Fragenkomplex beschäftige ich mit seit langem, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht. Kürzlich habe ich auch in Vaduz darüber einen Vortrag gehalten, deshalb möchte ich dieses Thema hier nicht ausführlicher behandeln, sondern nur folgendes festhalten: Eine religiöse Grundlage verstösst gegen die Religionsfreiheit und führt in der Regel dazu, dass die Religion als Instrument der Politik missbraucht wird. Ideologien wie der Nationalismus oder der Sozialismus sind Fehlentwicklungen, die in ihren extremen Formen viel Leid über die Menschheit gebracht haben und voraussichtlich noch bringen werden. Deshalb bin ich überzeugt, dass heute und erst recht im nächsten Jahrtausend nur das demokratische Prinzip als Grundlage für eine Verfassung herangezogen werden kann und dem Staat jene Legitimation verleiht, die er für seine Aufgaben braucht.

Liechtenstein ist bei der Verwirklichung des demokratischen Prinzips in seiner Verfassung weiter vorangeschritten als jeder andere Staat, vielleicht mit Ausnahme der Schweiz. Die Einführung des umfassenden Staatsvertragsreferendums zeigt, dass dieser Weg von beiden Souveränen, Volk und Fürst, gutgeheissen wird. Ich glaube nicht, dass sich der Landtag dieser Entwicklung auf Dauer entziehen kann. Er wird ja sagen müssen zum demokratischen Rechtsstaat. Betrachten wir unsere Verfassung, so gibt es zwei entscheidende Punkte, bei denen das demokratische Prinzip nicht zur Anwendung kommt oder zumindest eingeschränkt ist.

Der erste Punkt betrifft Art 1 der Verfassung. Dort wird das Fürstentum Liechtenstein als unteilbares Ganzes bezeichnet. Das bedeutet, dass eine Gemeinde selbst dann nicht den Staatsverband verlassen darf, wenn sich eine Mehrheit der Gemeindebürger in einer rechtsstaatlichen demokratischen Entscheidung für einen Austritt entschieden hat. Der Staat steht in so einem Fall vor dem Dilemma, entweder die demokratische Entscheidung zu akzeptieren und den Bruch der Verfassung zuzulassen, oder mit Gewalt zu versuchen, diese Entscheidung zu verhindern oder rückgängig zu machen. Dies würde jedoch die demokratischen Grundlagen, auf denen die Verfassung und der Staat aufgebaut sind, zerstören. Glücklicherweise wurden wir in unserer Geschichte noch nie mit so einem Problem konfrontiert, aber bekanntlich lässt sich die Zukunft, besonders in der Politik, nur schwer voraussagen, und wir leben in einer Zeit grosser Veränderungen.

Der zweite Punkt betrifft das absolute Vetorecht des Fürsten. Dieses Problem ist im Rahmen der Verfassungsdiskussion aktuell geworden. Schon im Frühjahr 1993 habe ich dem Landtag eine Lösung vorgeschlagen, wie das absolute Vetorecht des Fürsten aufzuheben ist, ohne die starke politische Stellung des Fürsten entscheidend zu schwächen. Die Lösung hat ausserdem den Vorteil, dass es über ein Misstrauensvotum gegen den Fürsten möglich ist, Amt und Person zu trennen. Weder die Verfassungskommission noch der Landtag haben sich mit diesen Lösungsvorschlägen auseinandergesetzt, sondern sich meiner Meinung nach allzu sehr auf die Frage konzentriert, wie man die Monarchie schwächen und die Oligarchie stärken kann.

Damit kommen wir zur nächsten Frage, die sich der neue Landtag stellen sollte: Welche Monarchie wird gewünscht? Das Fürstenhaus hat bekanntlich die Bedingung gestellt, dass Autonomie und Hausgesetz respektiert werden. Ich möchte noch eine weitere Bedingung nennen: Falls das Fürstenhaus in einem Staat den Monarchen stellt, soll es sich um einen demokratischen Rechtsstaat handeln oder zumindest die begründete Hoffnung bestehen, dass sich dieser Staat dazu entwickeln wird.

Der Landtag wird sich voraussichtlich mit grosser Mehrheit für einen demokratischen Rechtsstaat aussprechen, aber einige Politiker haben offensichtliche Schwierigkeiten mit der Autonomie und dem Hausgesetz des Fürstenhauses. Ich fürchte, diese Politiker werden sich mit der politischen Realität abfinden müssen. Das Fürstenhaus hatte seine Autonomie und sein Hausgesetz, lange bevor es hier das Staatsoberhaupt gestellt hat, und wird diese weiterhin bewahren, selbst wenn es nicht mehr das Staatsoberhaupt stellt. Es ist deshalb eine Illusion zu glauben, dass das Fürstenhaus in diesem Punkt nachgeben wird. Ob das liechtensteinische Volk überzeugt werden kann, sich von seinem Fürstenhaus wegen dessen Autonomie und Hausgesetz zu trennen, erscheint zweifelhaft. Die Mehrheit des liechtensteinischen Volkes wünscht, dass Fürst und Fürstenhaus ihre politische Unabhängigkeit behalten.

Ob eine Erbmonarchie demokratisch legitimiert werden kann, ist eine Frage, die für viele Menschen auf den ersten Blick schwer zu beantworten ist. Wird die Frage verneint, sollte der Monarch in einem demokratischen Rechtsstaat konsequenterweise weder politische Kompetenzen ausüben noch politische Verantwortung tragen. Ich bin aber überzeugt, dass die demokratische Legitimation nicht nur für die Oligarchie, sondern auch für die Monarchie möglich ist. Anstatt einer aktiven Legitimation mit Wahlen in regelmässigen Abständen ist eine passive Legitimation möglich, das heisst, der Monarch übt seine politischen Kompetenzen so lange aus, solange die Mehrheit des Volkes dies wünscht. Dies ist sicher ein besserer Schutz vor einem befürchteten Machtmissbrauch des Fürsten - eine Angst, die von einigen bewusst geschürt wird -, als den Fürsten in seinen politischen Kompetenzen zu beschneiden.

In diesem Zusammenhang möchte ich doch festhalten, dass die Fürsten ihre Macht weder missbraucht noch sich über die Verfassung hinweggesetzt haben, was man leider nicht von allen Politikern behaupten kann, die in den letzten Jahrzehnten politische Verantwortung getragen haben. Würde durch eine Entmachtung des Fürsten nicht ein wichtiger Garant des demokratischen Rechtsstaates wegfallen? Hätte dieser Staat überlebt mit Fürsten ohne politische Kompetenzen?

Der Landtag wird entscheiden müssen, ob er sich mit diesen Fragen auseinandersetzt und vor allem wie er sie beantwortet. Dabei sollte er aber berücksichtigen, dass trotz den Versuchen, anhand von Art 112 die Verfassung neu zu interpretieren, nach wie vor Volk und Fürst die beiden Souveräne sind. Schiebt der Landtag eine Entscheidung in diesen zentralen Verfassungsfragen allzu lange auf, läuft er Gefahr, dass Volk und Fürst ohne Mitwirkung des Landtages entscheiden, wie dies bereits beim Staatsvertragsreferendum der Fall war.

Die Einführung eines umfassenden Staatsvertragsreferendums hatte ich bei Übernahme der Stellvertretung vorgeschlagen. Dieser Vorschlag ist damals bei Regierung und Landtag auf wenig Verständnis gestossen. Die Freie Liste hat dann über eine Verfassungsinitiative versucht, den Vorschlag parteipolitisch zu nützen. Diese Initiative ist bei beiden Souveränen, Volk und Fürst, auf Ablehnung gestossen. Daraufhin hat eine überparteiliche Gruppierung eine mit mir abgesprochene Verfassungsinitiative zur Einführung des Staatsvertragsreferendums dem Volk vorgelegt, welche angenommen wurde.

In grundlegenden Verfassungsfragen würde ich es vorziehen, wenn die politische Oligarchie des Landes in den Entscheidungsprozess einbezogen wird. Es ist nicht das Ziel meiner Politik, die Oligarchie dieses Landes auszuschalten. Im Gegenteil, ich weiss um die wichtige Aufgabe, welche die Oligarchie in jedem Staat wahrzunehmen hat. Ich selbst entstamme einer Familie, die über Jahrhunderte im Heiligen Römischen Reich der Oligarchie angehört hat, deshalb sind mir ihre Stärken und Schwächen bekannt. Monarchie und Oligarchie ergänzen sich, sie sollten zum Wohle des Staates zusammenarbeiten und nicht versuchen, sich gegenseitig auszuschalten. Beide benötigen in der heutigen Zeit die demokratische Legitimation, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, denn im modernen Staat soll nicht das Volk dem Staate dienen, sondern der Staat den Menschen, die innerhalb seiner Grenzen wohnen.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrte Herren Abgeordnete, für die vor Ihnen liegenden Aufgaben wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Gottes Segen.