Thronreden

15. Februar 2007

Thronrede, Erbprinz Alois

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 15. FEBRUAR 2007

Das Jahr 2007 könnte zu einem wichtigen Reformjahr für Liechtenstein werden. Einige Reformen wie jene des Stiftungsrechts, des Finanzausgleichs, des Staatspersonalgesetzes oder des Gerichtsorganisationsgesetzes und des Richterdienstgesetzes könnten bereits dieses Jahr gelingen. In anderen Bereichen wie bei der Bildungsreform, der Steuerreform und der Trennung von Kirche und Staat sollte es möglich sein, wichtige Schritte zu setzen, auch wenn diese Reformen wohl noch nicht in diesem Jahr abgeschlossen werden können. In wiederum anderen Bereichen wie bei der Ausarbeitung einer Strategie für den Finanzplatz werden die eigentlichen Reformen - neben der Stiftungs- und Steuerrechtsreform - noch etwas später erfolgen. Hinzu kommen in näherer Zukunft im Bereich der Aussenpolitik die Umsetzung der Assoziation zu den Schengen- und Dublin-Abkommen und der 2. und 3. Geldwäschereirichtlinie sowie die Vertragsverhandlungen mit der EU über das Betrugsabkommen und mit den USA über den Erhalt des QI-Status. Einerseits ist es sehr erfreulich, dass die Regierung und die Verwaltung im letzten Jahr viel an Vorarbeiten geleistet haben, damit so ein Reformjahr überhaupt möglich wird. Andererseits werden diese Arbeiten nicht nur für die Regierung und die Verwaltung, sondern auch für den Landtag erhebliche Anstrengungen bringen. Denn neben den erwähnten Reformvorhaben bleibt die übliche Gesetzesflut, die aufgrund verschiedenster Tendenzen eher zu- als abnimmt: Der EWR verpflichtet uns zur Übernahme zahlreicher weiterer Rechtsvorschriften. Eine immer komplizierter werdende Gesellschaft will immer mehr staatlich regeln. Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns im Wohlfahrtsstaat die öffentliche Hand wie ein Kindermädchen versorgt. Dadurch haben wir eine Vollkaskomentalität entwickelt, die sämtliche Risiken durch den Staat beseitigt haben möchte, was nach entsprechenden Regelungen verlangt. Aber auch der Landtag selbst sorgt regelmässig für neue Rechtsvorschriften. Dies ist natürlich seine Aufgabe. Allerdings muss der Landtag ständig darum ringen, zwischen den berechtigten und den zweifelhaften Anliegen zu unterscheiden. Einiges, mit dem sich der Landtag, die Regierung und die Verwaltung beschäftigt, dürfte bei genauerer Prüfung eher auf parteipolitische Überlegungen, auf geschicktes Lobbying von Interessenvertretern oder auf kurzfristiges Reagieren auf eine momentane öffentliche Stimmung zurückzuführen sein als auf tiefer greifende Überlegungen, was für das gemeinsame Wohl der Bürger langfristig das Beste ist. In Anbetracht der grossen Aufgaben, vor denen wir stehen, halte ich daher diesen Beginn eines neuen Landtagsjahres für eine gute Gelegenheit, sich einmal Gedanken zu machen, was beim Verfassen neuer Rechtsvorschriften grundsätzlich bedacht werden sollte. Zunächst sollten wir uns fragen, welche Rechtsvorschriften wir wirklich brauchen? Nicht alles, was durch Verfassung, Gesetz oder Verordnung geregelt werden kann, ist notwendig. Zu viele unnötige Rechtsvorschriften führen dazu, dass der Lebensraum eingeengt wird und langfristig sich viele nicht mehr an die Gesetze halten. D.h. aber auch, dass wir uns fragen müssen, welche heute gültigen Rechtsvorschriften wir vielleicht nicht mehr brauchen oder noch nie gebraucht haben? In etlichen Bereichen sind wir zwar aufgrund des EWR sowie anderer internationaler Verträge und Mitgliedschaften gezwungen, Dinge staatlich zu regeln, die zumindest aus unserer Sicht gar nicht nötig wären, aber es bleiben genügend andere Bereiche übrig, in denen wir autonom entscheiden können. Hinsichtlich der internationalen Abkommen sollten wir uns ebenfalls vermehrt die Frage stellen, welchen wir beitreten wollen, welchen nicht und bei welchen wir allenfalls einen Vorbehalt anbringen? Denn auch durch unüberlegte Übernahmen von internationalen Rechtsvorschriften können wir uns unseren Gestaltungsspielraum unnötig einschränken. Hinzu kommt, dass wir als sehr kleiner Staat die Kosten, die internationale Abkommen teilweise verursachen, im Vergleich zu anderen Staaten nur auf sehr wenige Schultern verteilen können. Insbesondere die verschiedensten Berichterstattungskosten machen uns mehr und mehr zu schaffen. Dort, wo wir Rechtsvorschriften brauchen, müssen wir uns zuerst fragen, wo sie zu verankern sind, insbesondere auf welcher Ebene der Hierarchie der Rechtsordnung. Auf Verfassungsebene werden nur die ganz grundsätzlichen Dinge geregelt, die über lange Zeiträume gelten oder die für ein Funktionieren des demokratischen Rechtsstaates unerlässlich sind, wie die Staatsaufgaben, die Rechte und Pflichten der Bürger, insbesondere die Grundrechte, sowie die Rolle und das Zusammenwirken der Staatsorgane. Die Verfassungsbestimmungen sollten so allgemein wie möglich gehalten sein, damit sie möglichst selten geändert werden müssen sowie für Gesetze und Verordnungen genügend Entfaltungsraum bieten. Denn die Hierarchie der Rechtsordnung verlangt, dass jedes Gesetz durch die Verfassung und jede Verordnung, jede Verfügung oder jeder Bescheid durch ein Gesetz ausreichend abgedeckt wird. Schreiben wir aber Detailbestimmungen in die Verfassung, verbauen wir uns die Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft. Verfassungsänderungen brauchen ein höheres Quorum im Landtag und sind entsprechend schwieriger zu erreichen. Ausserdem erleichtert eine kurze, übersichtliche und allgemein verständliche Verfassung es den Bürgern, sich mit ihrer Verfassung zu identifizieren. Als Beispiel einer Rechtsvorschrift, die weder notwendig noch hierarchisch richtig verankert ist, halte ich die geplante Verfassungsbestimmung zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen. Das entsprechende Gesetz erachte ich hingegen als sinnvoll. Als wichtigster Grund für diese Verfassungsbestimmung wurde geltend gemacht, dass durch sie ausgeschlossen werden soll, dass der Staatsgerichtshof das geplante Gesetz über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen in Zukunft wegen einer dem Legalitätsprinzip widersprechenden formalgesetzliche Delegation aufheben kann. Mit anderen Worten gesagt, es brauche die Verfassungsbestimmung, da die Möglichkeit besteht, dass der Staatsgerichtshof der Meinung sein könnte, dass sich das Gesetz über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtsarbeitsverträgen nicht innerhalb der Schranken der Verfassung bewegt, weil es in einer rechtsstaatlich unzulässigen Weise die Handels- und Gewerbefreiheit einschränken könnte. Nun ist dies an und für sich schon eine äusserst fragwürdige Rechtsmeinung. Denn der Artikel 36 der Verfassung spricht davon, dass Handel und Gewerbe nur innerhalb der gesetzlichen Schranken frei sind, und somit keine absolute Handels- und Gewerbefreiheit gilt. Der Staatsgerichtshof hob die Zwangsmitgliedschaft in der GWK als mit der der Handels- und Gewerbefreiheit und der Vereinsfreiheit nicht vereinbar auf. Das Gesetz über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen bedeutet aber eine ganz andere gesetzliche Einschränkung. Letztlich muss sich auch der Staatsgerichtshof fragen, was noch als gesetzliche Schranke gelten kann und daher noch zulässig ist. Viel problematischer als die eben erwähnte Rechtsmeinung selbst sehe ich aber die Absicht, mit dieser Verfassungsbestimmung im Grunde den Staatsgerichtshof für künftige Gesetzesprüfungen in dieser Frage vorsorglich auszuschalten. Wenn eine solche Politik zur Gewohnheit wird, brauchen wir bald für jedes Gesetz und jede Verordnung eine Verfassungsbestimmung und keinen Staatsgerichtshof mehr. Damit würden wir nicht nur die Verfassung unleserlich machen und unseren Handlungsspielraum für die Zukunft stark einengen, sondern wir würden vor allem die Hierarchie der Rechtsordnung umdrehen. Gesetze sollten so formuliert werden, dass sie der Verfassung entsprechen, und Verordnungen so, dass sie den Gesetzen entsprechen, und nicht umgekehrt. Eine Verfassungsänderung muss ein Ausnahmefall sein, ihre Notwendigkeit wohl überlegt und möglichst nicht im Rucksack eines Gesetzes daherkommen. Im Falle der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen könnte immer noch zu einem späteren Zeitpunkt eine Verfassungsänderung erfolgen, falls sich dies aufgrund eines negativen Staatsgerichtshofentscheids als unerlässlich erweisen sollte. Der Staatsgerichtshof seinerseits sollte das Legalitätsprinzip der Verfassung und seinen Stellenwert für die Grundrechte mit Bedacht prüfen, um der Legislative und Exekutive den erforderlichen Handlungsspielraum zu belassen. Ebenfalls sehr problematisch ist die Formulierung der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung. Sie sieht eine verfassungsunmittelbare Verordnungsermächtigung aufgrund von unbestimmten Rechtsbegriffen vor. Nach dieser Verfassungsbestimmung sollen Gesamtarbeitsverträge durch Verordnung der Regierung allgemeinverbindlich erklärt werden dürfen, wenn sie begründeten Interessen von Nichtvertragsbeteiligten angemessen Rechnung tragen und die Rechtsgleichheit sowie die Vereinsfreiheit nicht beeinträchtigen. Üblicherweise sind Eingriffe in die Grundrechte aber zwingend an das Gesetz gebunden. Denn in demokratischen Rechtsstaaten ermächtigt die Verfassung - mit der Ausnahme von Notverordnungen - nur den Gesetzgeber, unmittelbar in die Grundrechte einzugreifen. Dies bedeutet aber, dass gemäss der vorgesehenen Verfassungsbestimmung ausgerechnet bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen das in der Argumentation verwendete Legalitätsprinzip ad absurdum geführt wird und eine einfache Regierungsverordnung genügen würde, um die Handels- und Gewerbefreiheit einzuschränken. Angesichts einer solchen Verfassungsbestimmung, die wie eine verfassungsunmittelbare Ermächtigung zum Erlassen von Notverordnungen formuliert ist, wäre dann ein Gesetz zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen und somit eine weitere Mitwirkung des Landtages eigentlich gar nicht mehr notwendig. Schliesslich sie hier erwähnt, dass die Formulierung der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung keineswegs eine Aufhebung des Gesetzes durch den Staatsgerichtshof verhindern kann, vor allem auch nicht im Zusammenhang mit der befürchteten Klage der LIHK wegen eines zu niedrigen Quorums. So wie die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung formuliert ist, lässt sie dem Staatsgerichtshof weiterhin die Möglichkeit sowohl das Gesetz als auch eine Verordnung wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben. Somit würde die geplante Verfassungsbestimmung einerseits keine Rechtssicherheit bringen und andererseits eine gefährliche Entwicklung einleiten. Nicht nur die Verfassungsbestimmungen, sondern auch die Gesetze sollten möglichst auf Dauer ausgerichtet sowie einfach und allgemein formuliert sein. So kann nicht nur eine unnötige Bürokratie vermieden werden, sondern auch die Gefahr, dass nur jene Vorteile aus Gesetzen ziehen, die sich gute Berater leisten können Zu kasuistische Gesetze haben hingegen das Problem, dass sie ständig gemäss den wandelnden Bedürfnissen der Gesellschaft geändert werden müssen. Die Einfachheit ist ein Merkmal, das wir vor allem auch bei der Reform des Steuergesetzes, des Finanzausgleiches und des Subventionsgesetzes berücksichtigen sollten. Bei der Ausarbeitung der Rechtsvorschriften müssen wir zusätzlich darauf achten, dass wir sinnvolle Anreize setzen. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, die Wechselwirkungen mit anderen Rechtsvorschriften sowie ihre Auswirkungen in der Praxis genau zu überlegen. Auch hier können der Finanzausgleich und das Subventionsgesetz als Beispiel dienen. Der Finanzausgleich sollte nicht nur vereinfacht werden, sondern seine Reform ist vor allem auch notwendig, um schlechte Anreize zu beseitigen. Das heutige Finanzausgleichsgesetz bestraft Gemeinden, wenn sie Reserven anlegen, um für zukünftige Grossprojekte zu sparen. Das heutige Subventionsgesetz verführt Gemeinden, Bauvorhaben grösser als nötig zu planen, um mehr Subventionen vom Land zu erhalten. Bei der Gestaltung neuer Rechtsvorschriften oder der Umsetzung von internationalen Abkommen müssen wir uns weiters folgende Fragen stellen: Wollen wir bewusst eigene Rechtsvorschriften erlassen, um uns von anderen Staaten im Wettbewerb der Standorte zu differenzieren? Oder wollen wir lieber die Rechtsvorschriften von anderen Staaten übernehmen, um auf deren Rechtssprechung und wissenschaftliche Forschung zurückgreifen sowie eine Umsetzung einfach und schnell durchführen zu können? Hier wäre es sinnvoll, dass Politik und Verwaltung in Absprache mit den Verbänden und sonstigen Interessenvertretungen jeweils schon sehr früh die Weichen in die gewünschte Richtung stellen. Sehr geehrte Abgeordnete, Viel Arbeit erwartet uns in diesem Jahr. Für die vor Ihnen liegenden Aufgaben wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Gottes Segen.