Thronreden

14. April 2005

Thronrede, Erbprinz Alois

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 14. April 2005

Zur Wahl in den Landtag möchte ich Ihnen herzlich gratulieren und Ihnen danken, dass Sie sich für diese bedeutende Aufgabe in unserem Staat zu Verfügung gestellt haben.

Wir stehen vor einer wichtigen Legislaturperiode, in der viele grundlegende Entscheidungen anstehen. Dabei ist die Zeit für weit reichende Reformen günstig. Nach der Finanzplatzkrise ist das Bewusstsein in der Bevölkerung gross, dass wesentliche Veränderungen notwendig sind, damit wir uns wieder eine ähnlich gute Ausgangslage schaffen, wie wir sie nach dem II. Weltkrieg hatten. Die grosse Koalition sollte helfen, diese grundlegenden Reformen in einer breiten Mehrheit anzugehen. Im Folgenden möchte ich vier Grundsatzfragen herausgreifen:

<i>Wir brauchen ein neues Steuersystem, von dem wir langfristig alle profitieren</i>

Erstens ist die Einführung eines neuen Steuersystems von langfristiger Bedeutung. Jede aufkommensneutrale Umstellung eines Steuersystems bringt Gewinner und Verlierer. Daher brauchen wir bei der Reform des Steuersystems den Mut, uns für ein Steuersystem zu entscheiden, von dem wir langfristig alle profitieren, selbst jene, die zuerst mehr Steuern zahlen werden als heute.

Ein neues Steuersystem, von dem wir langfristig alle profitieren, sollte folgende Kriterien haben:

Es sollte einfach und transparent sein, so dass die Steuerlasten für jeden Steuerzahler einsehbar und verständlich sind.

Es sollte eine faire Belastung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit garantieren.

Es sollte international kompatibel und vor allem auch für den Abschluss neuer Doppelbesteuerungsabkommen geeignet sein.

Es sollte den Wirtschaftsplatz attraktiver machen und insbesondere dem Finanzplatz neue Dynamik verleihen.

Es sollte in sich kohärent und abgestimmt mit dem Sozial- und Rechtssystem sein. Dies vermeidet insbesondere Armutsfallen und fördert die schnelle Reintegration von Arbeitslosen in die offiziellen Arbeitsmärkte.

Es sollte mit einem Finanzausgleich verbunden werden, der den Gemeinden eine ausreichende Mindestfinanzausstattung garantiert, die Gemeindeautonomie erhöht, anreizorientiert ist und damit jene Gemeinden belohnt, die sparsam wirtschaften.

Und es sollte eine hohe Effizienz bringen:

Indem das Besteuerungsverfahren die Kosten für die Steuerverwaltung wie auch für die Steuerzahler möglichst niedrig hält.

Indem Eigen- und Fremdkapital sowie Investitionen in Sach- und Humankapital gleich behandelt werden, und es die Unternehmen jene Rechtsform wählen lässt, die frei von steuerlichen Gesichtspunkten nach wirtschaftlichen Überlegungen die beste ist.

Und indem es eine grosse Flexibilität bezüglich Änderungen der Rahmenbedingungen erlaubt, ohne dass es in seiner Grundstruktur angetastet werden muss, und dadurch Planungssicherheit für die Steuerzahler wie für die politisch Verantwortlichen garantiert.Eine Steuerreform wird nicht alle diese Kriterien gleich gut erfüllen können. Wenn wir aber durch eine attraktive Steuerreform die Anziehungskraft unserer Rahmenbedingungen im Hinblick auf den verstärkten Standortwettbewerb verbessern wollen, so müssen wir möglichst vielen dieser Kriterien möglichst nahe kommen.

<i>Wir brauchen weitere Reformen der Alters- und Gesundheitsvorsorge</i>

Zweitens braucht unsere Alters- und Gesundheitsvorsorge eine langfristige Absicherung. Die gemäss Vernehmlassungsbericht der Regierung vorgesehene Revision des Gesetzes über die betriebliche Personalvorsorge ist ein Schritt in die richtige Richtung. Eine grundlegende Reform, um die Pensionen unserer Jugendlichen im Alter zu sichern, ist diese Revision aber noch nicht. Daher sollten wir uns zusätzlich zur vorgeschlagenen Revision überlegen, wie eine für die Zukunft optimale Altersvorsorge ausschauen soll.

Dasselbe gilt für die Gesundheitsvorsorge. Die jüngsten Reformen helfen, die Kosten zu reduzieren. Aber um unsere Gesundheitsvorsorge langfristig finanzieren zu können, wird eine zusätzliche Reform notwendig sein.

Dabei werden wir offen darüber sprechen müssen, wie unser heutiges System tatsächlich funktioniert und was für eine gesundheitliche Grundvorsorge wir uns in Zukunft überhaupt leisten können. Wir werden zugeben müssen, dass wir schon immer ein Mehrklassensystem der Gesundheitsvorsorge hatten und auch in Zukunft nur ein solches finanzierbar ist. Alle Einwohner auf dem Niveau der Reichsten zu versichern, ist mit erträglichen Steuern oder Abgaben einfach nicht möglich. Wir werden die schwierige Frage beantworten müssen, welche Behandlungen von der gesundheitlichen Grundvorsorge übernommen werden und welche nicht?

<i>Wir brauchen ein neues Bildungssystem mit mehr Autonomie für unsere Bildungsinstitutionen und anderen staatlichen Finanzierungsmodellen</i>

Drittens sollten wir bei der Reform unseres Bildungssystems ebenfalls langfristig denken. Wir dürfen uns nicht damit verzetteln, indem wir streiten, ob wir Ganztagesschulen brauchen oder nicht. Wir müssen vielmehr die Bildungsstruktur grundsätzlich überdenken.

Wir sollten überlegen, wie wir durch mehr Autonomie der Bildungseinrichtungen und andere staatliche Finanzierungsmodelle einen fruchtbaren Wettbewerb erreichen, der das Bildungsangebot gemäss den Anliegen der Bildungsnachfrager ständig verbessert. Damit dürfte sich nebenbei die Frage nach Ganztagesschulen und ähnlichen Dingen gemäss den Wünschen der Bildungsnachfrager von selbst lösen.

Wir sollten uns überlegen, wie so ein Wettbewerb der Bildungsinstitutionen am besten staatlich reguliert wird. Mindeststandards müssen festlegen, welches Bildungsniveau auf welcher Stufe jedenfalls zu erreichen ist. Durch geeignete Regeln müssen wir auch für die sozial Benachteiligten möglichst gleichwertige Bildungschancen sichern, damit nicht die reichen Kinder in Schulen abwandern, die sich die armen nicht leisten können.

Und wir sollten uns überlegen, wie Eltern bezüglich ihrer bedeutenden Erziehungsaufgabe in den ersten 3 bis 4 Lebensjahren besser aufgeklärt, vorbereitet oder unterstützt werden können.

Eine solche Reform der Bildungsstrukturen kann nicht nur den Bildungsnachfragern ein breiteres und qualitativ höheres Angebot geben, sondern auch stärker auf die Bedürfnisse der Lehrkräfte eingehen, ihnen mehr Entfaltungsmöglichkeiten bieten sowie sie von administrativen Aufgaben entlasten. Dies dürfte wiederum helfen, das Bildungsangebot weiter zu verbessern.

<i>Wir sollten den Mut haben, den Schutz des Lebens umfassend in der Verfassung zu verankern</i>

Viertens stehen wir vor der Entscheidung, ob wir den Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod in unserer Verfassung verankern wollen. Weil dies eine grundlegende und langfristig bedeutende Entscheidung ist, halte ich es für wichtig, zwar von anderen Staaten zu lernen, diese Entscheidung aber selbständig durchzudenken und den Mut zu haben, einen eigenen Weg zu gehen.

Diese Entscheidung kommt schon bald auf uns zu. Daher sollten wir möglichst früh in dieser sensiblen Frage eine entsprechende Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung erreichen. Meinerseits möchte ich die Gelegenheit nutzen, bereits heute einige Gedanken dazu zu äussern, die ich in dieser Frage für wichtig halte:

Der Schutz des Lebens ist sicherlich eine Kernaufgabe des Staates, wenn nicht sogar die wichtigste. Wahrscheinlich waren die Sorge um den Schutz des Lebens und der Wunsch, in Freiheit und Frieden leben zu können, entscheidende Gründe, dass überhaupt Staaten gebildet wurden. Der Schutz des Lebens ist somit implizit in jeder Staatsordnung verankert und bei uns auch indirekt über die EMRK und andere internationale Abkommen gesichert.

Trotzdem halte ich es für sehr sinnvoll, den Schutz des Lebens gerade heute, in einer Zeit, in der wir die Kernaufgaben der Staates diskutieren, ausdrücklich als oberste Staatsaufgabe in der Verfassung zu verankern.

Da der Schutz des Lebens eine Kernaufgabe des Staates und mit ein Grund für die Existenzberechtigung eines Staates ist, sollte er sehr umfassend sein. Der Staat wird aber nicht jedes Leben ständig vor allen Gefahren schützen können. Und der Staat wird den Schutz des Lebens nicht zu umfassend gestalten können, da er sonst die Freiheit seiner Bürger erstickt. Allerdings benötigt selbst jedes noch so liberale menschliche Zusammenleben vielfältige Einschränkungen der Freiheit.

Bei der Frage, ob menschliches Leben getötet werden darf, um anderem menschlichen Leben mehr Freiheit, Selbstbestimmung oder materiellen Wohlstand zu ermöglichen, wird die Abwägung eindeutig in Richtung Schutz des menschlichen Lebens und Einschränkung von Freiheit und Selbstbestimmung gehen müssen.

Wir haben uns in der Vergangenheit bereits klar in Richtung Schutz des menschlichen Lebens entschieden:

Wir haben die Todesstrafe abgeschafft, damit keiner, auch nicht der Staat, darüber richten soll, welches menschliche Leben schützenswert ist und welches nicht.

Wir haben für Angriffe auf menschliches Leben wie Mord und Totschlag die höchsten Strafsätze.

Und wir stellen auch Angriffe auf ungeborenes menschliches Leben unter Strafe.Allerdings zeigen die Bemühungen um eine Fristenlösung, dass es verschiedene Ansichten gibt, wie das ungeborene Leben am besten geschützt wird. Es gibt einige, die die Bestrafung des Tötens von ungeborenem Leben als unbedingt notwendig für eine klare Werteordnung des Staates erachten. Und es gibt andere, die meinen, dass das ungeborene menschliche Leben besser geschützt wird, wenn das Töten dieses Lebens innerhalb einer bestimmten Frist nicht unter Strafe gestellt wird, weil dadurch mehr Mütter vor den Problemen einer Abtreibung gewarnt werden können.

Beide Gruppen bezeichnen aber den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens als ihr wichtigstes Anliegen. Daher sollte eine umfassende Verankerung des Schutzes des menschlichen Lebens von der Empfängnis an in der Verfassung aus Sicht der Fristenlösungsdiskussion eigentlich kein Problem sein.

Wenn wir über den Schutz des Lebens nachdenken, sollten wir uns aber nicht nur mit Ver- und Geboten beschäftigen, sondern uns auch Gedanken machen,

wie einer ungewollt schwangeren Mutter besser geholfen werden kann,

wie kinderreiche Familien durch den Staat besser gestützt werden können und

wie ein Altern und Sterben in Würde durch Pflegeeinrichtungen, Schulung von Pflegepersonal, Hospizkarenz und andere Hilfen erleichtert werden kann.<i>Wir brauchen mutige, langfristige und eigenständige Reformen zu unser aller Wohl</i>

In meiner Rede anlässlich des Staatsfeiertages habe ich erwähnt, dass ich es als eine meiner wichtigsten Aufgaben erachte, zum Schutz von Minderheiten und zu unserem langfristigen Wohl klare Worte zu sprechen, auch wenn sie nicht populär sein sollten. Gerade weil einige der zukünftigen Entscheidungen von grundlegender langfristiger Bedeutung sind, möchte ich Sie und alle Stimmbürger ersuchen:

Fällen Sie diese Entscheidungen nicht danach, ob es Ihrer Partei bei der nächsten Wahl mehr Stimmen bringt. Orientieren Sie sich am langfristigen gemeinsamen Interesse der Bürger.

Fällen Sie diese Entscheidungen nicht, weil andere Staaten so entschieden haben. Wir sollten zwar die Entscheide anderer Staaten studieren. Letztendlich müssen wir aber die grundlegenden Fragen eigenständig für uns selbst durchdenken und treffen. Denn wir haben andere Voraussetzungen als andere Staaten. So wären wir heute ohne eigenständige Entscheidungen weder Monarchie noch Mitglied des EWR.

Fällen Sie diese Entscheidungen nicht danach, ob Sie oder Interessensgruppen, denen Sie nahe stehen, weniger staatliche Unterstützung bekommen könnten oder kurzfristig mehr Steuern zahlen müssten. Sonst haben wir bald einen Staat, der seinen Haushalt nicht mehr im Griff hat. Nur wenn ein jeder bereit ist, auf zwar lieb gewonnene aber nicht unbedingt notwendige staatliche Unterstützungen und Vorteile zu Gunsten der wirklich Bedürftigen zu verzichten, erreichen wir einen schlanken und starken Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert.

Verlieren Sie nicht bei ersten Bedenken gegen Reformvorhaben den Mut und ziehen Sie sich nicht auf ein Reförmchen mit etwas Feilen an den Ecken eines bestehenden aber unbefriedigenden Systems zurück. Das hilft auf die Dauer niemandem. Sehen Sie diese Bedenken als Chance, ein Reformkonzept nochmals kritisch zu hinterfragen und allenfalls zu verbessern.

Werfen Sie nicht ein Reformkonzept über den Haufen, bevor es richtig in der Öffentlichkeit erklärt worden ist, nur weil sich erste Meinungsumfragen dagegen aussprechen. Nehmen Sie dies vielmehr als Ansporn, so gut wie möglich allen Bürgern die Notwendigkeit einer Reform darzulegen.

Fällen Sie einfach den Entscheid, der tatsächlich für uns langfristig der beste ist.Sehr geehrte Abgeordnete, für die vor Ihnen liegenden Aufgaben wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Gottes Segen.