Thronreden

15. März 1996

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 15. März 1996


Liechtenstein hat in den vergangenen Jahren aussenpolitisch wichtige Erfolge errungen. Durch die UNO-Mitgliedschaft konnte Liechtenstein seine Souveränität international absichern. Das EWR-Abkommen hat dem Land eine günstige Ausgangsposition verschafft, sollte die europäische Integration weitere Fortschritte erzielen. Nicht zuletzt dank der Hilfe und dem Einverständnis unserer Schweizer Freunde ist es uns gelungen, gleichzeitig am europäischen Integrationsprozess teilzunehmen und den Zollvertrag mit der Schweiz aufrechtzuerhalten. Selbst wenn die Schweiz in einigen Jahren der EU beitreten sollte, dürfte der EWR für Liechtenstein immer noch die beste Lösung sein.

Aussenpolitisch haben wir die wichtigsten Ziele erreicht. Natürlich werden immer wieder Anstrengungen unsererseits notwendig sein, diese Erfolge auch für die Zukunft abzusichern. Verglichen mit dem Weg, den wir zurücklegen mussten, ist dies aber eine einfachere Aufgabe, die mit weniger innen- und aussenpolitischen Schwierigkeiten verbunden ist.

Vermehrt können wir uns im Land wieder Fragen der Innenpolitik zuwenden. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Stellung die Monarchie in Zukunft haben soll. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass die liechtensteinische Oeffentlichkeit und besonders auch die Politiker verstehen, wie das Fürstenhaus seine Position hier im Land sieht. Ich möchte im folgenden die Stellung des Fürstenhauses zur Verfassungsfrage darstellen und anschliessend darlegen, welche Auswirkungen die Verfassungsänderungen für unser Land haben könnten.

Seit der Staatsgründung Liechtensteins vor fast 300 Jahren hat sich das Fürstenhaus politisch und finanziell für das Wohl von Land und Leute eingesetzt. Wir sind weiterhin mit dem Land durch Verfassung, Geschichte und Zuneigung eng verbunden und bereit, Verantwortung zu tragen. Allerdings ist das Selbstbestimmungsrecht der liechtensteinischen Bevölkerung für Fürst und Fürstenhaus der entscheidende Standpunkt, von dem die Zukunft der Monarchie zu betrachten ist. Das Fürstenhaus stellt das Staatsoberhaupt in diesem Lande nur so lange dies von einer Mehrheit der Bevölkerung gewünscht wird. Sollte die liechtensteinische Bevölkerung die Monarchie nicht mehr wollen, braucht es weder eine Revolution noch eine Demonstration, sondern lediglich eine Verfassungsinitiative, die mehrheitlich vom Volk angenommen wird.

Volk und Volksvertreter müssen aber berücksichtigen, dass Fürst und Fürstenhaus keine Befehlsempfänger des Volkes oder der Volksvertreter sind. Das Fürstenhaus stellt das Staatsoberhaupt in diesem Staat unter gewissen Bedingungen. Dazu gehört, dass Autonomie und Hausgesetz des Fürstenhauses respektiert werden. Nur so lässt sich die Unabhängigkeit und Neutralität des Fürstenhauses auf Dauer erhalten. Eine Einmischung aussenstehender Parteien muss im Interesse der Familie, aber auch des Landes vermieden werden.

Eine weitere Bedingung ist, dass die formelle in der Verfassung festgehaltene Verantwortung des Fürsten in Übereinstimmung mit seinen realen Kompetenzen gehalten wird. Dies ist notwendig, um die Rechtssicherheit zu bewahren. Entscheidet man sich dafür, die Kompetenzen des Fürsten einzuschränken, so soll dies in der Verfassung festgehalten und nach aussen klar dokumentiert werden. Die Forderung, dass der Fürst die ihm in der Verfassung zustehenden Rechte nicht ausübt, führt zu einer diffusen Verantwortungs- und Kompetenzverteilung und damit zu einer Schwächung des Rechtsstaates. Der Fürst läuft ausserdem Gefahr, für Fehlentscheidungen mit zur Verantwortung gezogen zu werden, mit denen er nie etwas zu tun hatte.

In einem publizierten Brief an das Liechtenstein-Institut habe ich vier Verfassungsvarianten vorgeschlagen. Es liegt nun am Volk und an seinen Vertretern, jene Verfassungsvariante auszusuchen, die ihnen für die Zukunft am sinnvollsten erscheint.

Die erste und vielleicht naheliegendste Variante ist das Festhalten an der heutigen Verfassung. Man wird sich dann aber an dieser Verfassung orientieren müssen, auch was die Beamtenernennungen betrifft. Die Auseinandersetzungen der Vergangenheit lagen meiner Meinung nach nicht an der mangelnden Klarheit unserer Verfassung, sondern an der manchmal fehlenden Bereitschaft, sich an diese Verfassung zu halten.

Die zweite Variante beinhaltet einen Ausbau der Demokratie und eine Stärkung des Rechtsstaates. Der Monarch behält aber weiterhin seine politischen Aufgaben in der Verfassung. Die Vorschläge sind dem Landtag und der liechtensteinischen Öffentlichkeit seit drei Jahren bekannt, und deshalb möchte ich darauf verzichten, hier noch einmal näher darauf einzugehen.

Die dritte Variante sieht vor, dass Liechtenstein zwar weiterhin eine Monarchie bleibt, die politischen Funktionen und Verantwortungen des Fürsten jedoch weitestgehend abgeschafft werden. Wie schon dargelegt, halte ich Bestrebungen, formell die politische Verantwortung beim Fürsten zu belassen, in der Praxis die Kompetenzen auf andere Entscheidungsträger zu verlagern für keine glückliche Lösung. Ist man mehrheitlich im Land der Meinung, dass der Fürst keine politischen Kompetenzen mehr wahrnehmen soll, kann er auch keine politische Verantwortung tragen. Der Fürst wird sich bei dieser dritten Variante wieder anderen Aufgaben widmen und sich mit seiner Familie hauptsächlich im Ausland aufhalten. Trotzdem könnte er weiterhin seinen offiziellen Wohnsitz im Land behalten, falls dies gewünscht wird.

Diese dritte Variante würde zu einer bedeutenden Veränderung unserer Verfassung führen, und ist daher für Land und Volk mit grösseren politischen und wirtschaftlichen Risiken verbunden als die beiden ersten Varianten. Diese Risiken könnte man durch den Einbau eines Verfassungsartikels verringern, mit dem das Volk oder der Landtag dem Fürsten ausserordentliche Kompetenzen bei einer innen- oder aussenpolitischen Krisensituation einräumt.

Diese dritte Variante ist aus der Sicht von Fürst und Fürstenhaus attraktiv. Der Zeitpunkt für das Fürstenhaus, sich aus der liechtensteinischen Innen- und Aussenpolitik zurückzuziehen, wäre günstig. Politisch und wirtschaftlich war Liechtenstein noch nie in so einer ausgezeichneten Position. Das Fürstenhaus kann mit Stolz in die Vergangenheit zurückblicken und auf zahlreiche politische und wirtschaftliche Einsätze hindeuten, welche dem Land zu seiner einzigartigen Entwicklung verholfen haben. Der Fürst könnte sich wiederum vermehrt anderen Aufgaben zuwenden, so z.B. der Verwaltung des fürstlichen Vermögens oder seiner Rolle als Familienoberhaupt.

Wenn ich die Protokolle der Landtagsdebatte über das Hausgesetz lese, so frage ich mich aber, ob das Fürstenhaus nicht die vierte Variante, bei der es nicht mehr das Staatsoberhaupt stellt, in Erwägung ziehen sollte. Es sieht so aus, als ob Hausgesetz und Autonomie des Fürstenhauses da und dort als nicht mehr zeitgemäss empfunden werden. Unter diesen Umständen sollte sich auch das Fürstenhaus die Frage stellen, ob es noch sinnvoll ist, das Staatsoberhaupt zu stellen. Zweifellos war es in der Vergangenheit von Vorteil, einem regierenden Haus anzugehören. Ob dies heute und in Zukunft noch der Fall ist, erscheint zweifelhaft.

Regierende Häuser werden immer mehr zum Spielball der Massenmedien. Unter diesen Umständen ist es sehr schwierig, ein normales Familienleben zu führen. Eine normal funktionierende Familie ist aber die Voraussetzung, um jene Werte von Generation zu Generation weiterzugeben, welche letzten Endes für den Erfolg unserer Familie über Jahrhunderte ausschlaggebend waren. Glücklicherweise haben uns bis jetzt die Kleinheit des Landes und eine zurückhaltende Medienpolitik weitgehend davor bewahrt, zur Handelsware der Massenmedien zu werden mit all den damit verbundenen Problemen.

Einen weiteren Punkt sollte man in Liechtenstein nicht übersehen, wenn über Hausgesetz und Autonomie des Fürstenhauses diskutiert wird. Unsere Familie hatte ihre Autonomie und ihr Hausgesetz, lange bevor sie hier das Staatsoberhaupt gestellt hat. Sie wird diese Autonomie und dieses Hausgesetz, vielleicht in leicht veränderter Form, auch dann behalten können, wenn sie eines Tages nicht mehr ein regierendes Haus sein sollte.

Als Fürst, der von seinen Vorfahren die Verantwortung für dieses Land und seine Bevölkerung übernommen hat, macht man sich natürlich Gedanken für den Fall, dass sich das Fürstenhaus zurückziehen sollte. Verschiedene Szenarien sind denkbar, deren drei ich kurz herausgreifen möchte: Die Beibehaltung der Monarchie mit einer anderen Familie, die Republik und schliesslich der Anschluss an einen unserer beiden Nachbarstaaten.

Die Beibehaltung der Monarchie, aber mit einer anderen Familie, wäre theoretisch eine Alternative. Eine Monarchie kostet jedoch Geld, und ob der liechtensteinische Steuerzahler bereit ist, diese Kosten zu übernehmen, ist fraglich. Noch schwieriger dürfte es sein, jemanden zu finden, der bereit ist, mit seiner Familie diese Kosten auf Dauer zu übernehmen unter Bedingungen, die das Fürstenhaus abgelehnt hat.

Eine weitere Möglichkeit ist die Republik. Angesichts der Kleinheit des Landes erscheint mir ein Präsident, der sich in erster Linie auf Repräsentationsaufgaben konzentriert, als wenig sinnvoll. Den Verhältnissen angepasster erscheinen zwei Lösungsansätze, die sich in grösseren Staaten bereits bewährt haben, und zwar in den USA und in der Schweiz. Das eine Modell ist die präsidiale Republik, bei der das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt wird und auch die Rolle des Regierungschefs übernimmt. Das andere Modell ist ein Kollektiv wie der schweizerische Bundesrat, eine Aufgabe, die bei uns die Gesamtregierung übernehmen könnte. Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile, aber es würde zu weit führen, hier näher darauf einzugehen. Wichtiger erscheint es mir, dass die politischen und wirtschaftlichen Risiken genau analysiert werden, bevor man das Fürstentum Liechtenstein in eine Republik verwandelt.

Die liechtensteinische Vergangenheit zeigt, wie die Souveränität immer wieder durch den politischen Weitblick des Fürstenhauses bewahrt und gestärkt wurde. Blicken wir in die Zukunft, so können wir feststellen, dass eine Republik gute Überlebenschancen hat, solange es in Europa keine grösseren Umwälzungen gibt. Problematischer als die politischen sind meiner Ansicht nach die wirtschaftlichen Risiken. Ein erfolgreicher Finanzplatz ist nicht nur von niedrigen Steuern und einem guten Service abhängig, sondern auch vom Vertrauen der ausländischen Investoren. Vertrauen hat nicht nur eine rationale, sondern oft eine schwer fassbare irrationale Komponente. Die Umwandlung des Fürstentums Liechtenstein in eine Republik könnte dem Finanzplatz schweren Schaden zufügen.

Wenn ich die wirtschaftlichen Risiken betrachte und berücksichtige, dass niemand mit Sicherheit die weitere Entwicklung in Europa in den nächsten Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten voraussagen kann, frage ich mich, ob nicht die Umwandlung in eine Republik sowohl kurz- als auch langfristig mit allzu grossen Risiken verbunden ist. Der Anschluss an einen unserer beiden Nachbarstaaten, mit denen wir seit Jahrhunderten freundschaftlich verbunden sind, erscheint mir zumindest eine diskussionswürdige Alternative zur Republik zu sein. Von den beiden Möglichkeiten halte ich den Anschluss an die Schweiz aus vielen Gründen als die sinnvollere Alternative, nicht zuletzt wegen der Kleinheit des Landes. Für ein eigenes Bundesland in Österreich wäre das Land zu klein, als eigener Kanton würden wir uns in der Schweiz jedoch in guter Gesellschaft befinden. Der Finanzplatz Liechtenstein ist eng mit dem Finanzplatz Schweiz verbunden und auch sonst sind die Bindungen zwischen den beiden Staaten seit über 70 Jahren sehr eng und freundschaftlich. Die Schweiz ist ein demokratischer Rechtsstaat, der es über Jahrhunderte verstanden hat, sich im Herzen dieses unruhigen Europas die Unabhängigkeit zu bewah-ren. Allerdings wäre es für Liechtenstein bedauerlich, die Souveränität ausgerechnet in einem Augenblick aufzugeben, in dem diese so gut abgesichert ist wie noch nie zuvor in der Geschichte dieses Landes.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wie Sie sehen, fehlt es nicht an Möglichkeiten, die Zukunft dieses Landes zu gestalten. Ich bin mir bewusst, dass in diesem knappen Jahr vor den nächsten Landtagswahlen keine grossen Entscheidungen mehr zu erwarten sind. Trotzdem sollte die Periode der Unsicherheit über die zukünftige Stellung der Monarchie aus politischen und wirtschaftlichen Gründen langsam zu einem Abschluss gebracht werden. Der kommende Wahlkampf bietet den Parteien die Möglichkeit, der Bevölkerung ihren Standpunkt zu den verschiedenen Varianten darzulegen.

Es ist der liechtensteinischen Öffentlichkeit bekannt, dass ich persönlich der zweiten Variante den Vorzug gebe, welche Demokratie und Rechtsstaat stärkt. Betrachte ich die liechtensteinische Geschichte, so stelle ich doch fest, dass die Fürsten ihre Macht nicht missbraucht, sondern versucht haben, sie zum Wohle dieses Landes und seiner Bevölkerung einzusetzen. Natürlich ist kein Fürst unfehlbar und niemand kann ausschliessen, dass er nicht in Zukunft seine Macht missbraucht. Die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen der zweiten Variante bieten dagegen einen wirksameren Schutz als so manche andere Änderung, welche in der Vergangenheit diskutiert wurde.

Die anderen drei Varianten sind aus der Sicht von Fürst und Fürstenhaus ebenfalls vertretbar. Allerdings frage ich mich, ob es vom Standpunkt der liechtensteinischen Bevölkerung aus betrachtet, sehr klug ist, sich auf die Risiken der vierten Variante einzulassen, falls man die Autonomie und das Hausgesetz des Fürstenhauses nicht mehr als zeitgemäss empfindet. Das Hausgesetz war der liechtensteinischen Bevölkerung bis vor kurzem unbekannt, und die Autonomie hat offensichtlich bis jetzt niemanden gestört.

Abschliessend kann ich nur noch einmal wiederholen, dass Fürst und Fürstenhaus gerne das Staatsoberhaupt in diesem Lande stellen und weiterhin bereit sind, Verantwortung zu übernehmen für das Wohl der liechtensteinischen Bevölkerung. Wichtiger ist uns aber noch das Selbstbestimmungsrecht dieser Bevölkerung, und wir werden deshalb auch eine andere Entscheidung respektieren.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, für die vor Ihnen liegenden Aufgaben wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Gottes Segen.