Thronreden

15. Februar 1995

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 15. Februar 1995



1994 war für unser Land wiederum ein Jahr geprägt von wichtigen Entwicklungen, besonders in der Aussenpolitik. Wegen der Einführung der Mehrwertsteuer musste unsere junge Regierung komplizierte Verhandlungen mit der Schweiz führen. Geduld und Fingerspitzengefühl waren gefragt. Berücksichtigt man die schwierige Ausgangsposition, wurde für unser Land ein sehr günstiges Verhandlungsergebnis erzielt. Bei der da und dort kritischen Beurteilung der bilateralen Vereinbarung zur Mehrwertsteuer sollte nicht übersehen werden, dass weitergehende Forderungen von liechtensteinischer Seite wohl zu einer Auflösung des Zollvertrages gerührt hätte. Der Steuer- und Finanzbereich ist für die Schweiz und Liechtenstein von zentraler Bedeutung und wir sollten uns bewusst sein, dass es auch in Zukunft voraussichtlich schwer sein wird, für beide Seiten befriedigende Lösungen in diesem Bereich zu finden.

Ein sehr schöner Verhandlungserfolg konnte letztes Jahr in der EWR-Frage erzielt werden. Als ich mich 1992 für eine Mitgliedschaft Liechtensteins im EWR stark einsetzte, war ich überzeugt, dass eine Lösungsplattform technisch möglich ist, die uns sowohl die EWR-Mitgliedschaft als auch die offene Grenze mit der Schweiz bietet. Selbst nach einem Nein der Schweiz zum EWR. Auch war ich sicher, dass neben den verschiedenen technischen Vorschriften beim Zollvertrag selbst wegen des EWR nur eine Änderung notwendig sein wird. Nicht nur EWR-Gegner haben bezweifelt, dass dies möglich ist. Ich habe aber nicht zu hoffen gewagt, dass wir in Brüssel beim Personenverkehr jetzt schon eine Lösung erzielen, die den liechtensteinischen Verhältnissen so entgegenkommt. Es ist oft ein langsamer und mühsamer Weg vom Erkennen der technischen Lösungsmöglichkeiten bis zu ihrer politischen Umsetzung.

Der Regierung und allen Beteiligten möchte ich für diese Verhandlungserfolge sehr herzlich danken. Mein Dank richtet sich ebenfalls an Bern und Brüssel, für das dort vorhandene Verständnis gegenüber den spezifisch liechtensteinischen Problemen. Welch grosses Verständnis in der Schweiz für die liechtensteinische Europapolitik besteht, beweist die einstimmige Verabschiedung der Vereinbarung mit Liechtenstein über den EWR im schweizerischen Parlament. In Bern und Brüssel hat man dem kleinen Liechtenstein die Hände gereicht. Es liegt nun am liechtensteinischen Volk, diese zu ergreifen und nicht zurückzuweisen.

Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben, dass ein Nein zum EWR und ein Nein zur Lösungsplattform uns nicht nur von Europa, sondern auch von der Schweiz isoliert. Selbst die EWR-Gegner in der sehr viel grösseren Schweiz sind der Ansicht, dass die Schweiz in Europa keine Isolationspolitik betreiben kann. Welchen Weg die Schweiz in ihrer Integrationspolitik schliesslich beschreiten wird, kann derzeit niemand mit absoluter Sicherheit sagen. Eines ist aber sicher: Nur ein Ja zum EWR und zur Lösungsplattform mit der Schweiz sichert uns für die Zukunft eine enge Partnerschaft mit der Schweiz.

Die Fachleute sind sich weitgehend einig, dass die Schweiz im wesentlichen zwischen vier Möglichkeiten wählen kann, was ihr Verhältnis zu Europa betrifft:

1. Die Isolation, was aber wenig wahrscheinlich ist, nachdem selbst die EWR-Gegner diesen Weg ablehnen.

2. Ein umfassendes bilaterales Abkommen, über das derzeit verhandelt wird. Es sieht so aus, als ob die Schweiz in diesem Abkommen weniger erhalten wird als im EWR, die EU andererseits beim Personenverkehr auf Lösungen drängt, die eine grössere Freizügigkeit vorsehen, verglichen mit der liechtensteinischen EWR-Lösung. Ob so ein Abkommen in der Schweiz mehrheitsfähig ist, lässt sich derzeit schwer beurteilen.

3. Die Schweiz wird doch noch EWR-Mitglied. Nachdem auf EFTA-Seite nur noch mehr Norwegen, Island und vielleicht Liechtenstein übrigbleiben, wäre ein Ja des Schweizer Volkes bei einer zweiten Abstimmung wohl eine Überraschung.

4. Die EU-Mitgliedschaft, die der Bundesrat zum strategischen Ziel der schweizerischen Europapolitik erklärt hat. Schon lange habe ich die Auffassung vertreten, dass langfristig dieser Weg der Schweiz aus verschiedenen Gründen der wahrscheinlichste ist. Bei meiner Landtagsrede vor einem Jahr habe ich darauf hingewiesen, dass die Umfrageergebnisse in der Schweiz noch eine Ablehnung zeigen, aber erfahrungsgemäss sich die Volksmeinung relativ rasch ändern kann. Glaubt man diesen gleichen Umfrageergebnissen, so hat der Meinungsumschwung in der schweizerischen Bevölkerung schon stattgefunden. Realistischerweise müssen wir in Liechtenstein davon ausgehen, dass der Bundesrat sich mit seiner Integrationspolitik in absehbarer Zeit durchsetzen wird.

Lehnt das liechtensteinische Volk den EWR und die Lösungsplattform mit der Schweiz ab, so wird dies nicht nur in Bern und Brüssel auf Unverständnis stossen, sondern wir haben damit die Isolationspolitik gewählt. Unsere Partnerschaft mit der Schweiz können wir unter diesen Umständen nur aufrechterhalten, wenn auch die Schweiz die Isolation wählt, was aber wie erwähnt, langfristig sehr unwahrscheinlich ist. Schliesst die Schweiz mit der EU das Abkommen ab, über welches derzeit verhandelt wird, brauchen wir die Lösungsplattform mit der Schweiz und ein Abkommen mit der EU, um uns nicht von der Schweiz zu isolieren. Das gleiche gilt auch für den Fall, dass die Schweiz doch noch EWR-Mitglied werden sollte. Sagen wir nein zur Lösungsplattform, ist für die Schweiz und die EU eine Kündigung des Zollvertrages der einfachste Weg, das liechtensteinische Problem zu lösen. Beschreitet die Schweiz, wie zu erwarten ist, den Weg einer Mitgliedschaft in der EU und löst sich deshalb der Zollvertrag auf, können wir über eine EWR-Mitgliedschaft mit der Schweiz weiterhin verbunden bleiben.

Wer heute nein sagt zur Lösungsplattform und zum EWR, sagt mit hoher Wahrscheinlichkeit nein zur weiteren Partnerschaft mit der Schweiz und ja zu einer Isolationspolitik ohne die Schweiz. Natürlich kann man die Meinung vertreten, dass eine Isolationspolitik gegenüber der Schweiz und der EU für Liechtenstein eine mögliche Alternative darstellt. Die Voraussetzungen gegenüber früher haben sich zweifellos verbessert, nicht zuletzt durch unsere Mitgliedschaft in der UNO und anderen Organisationen. Die Weltmärkte haben sich geöffnet und Liechtenstein wird auch ohne besondere Wirtschaftsverträge mit der Schweiz oder der EU Waren und Dienstleistungen nach Europa exportieren. Trotzdem muss ich darauf hinweisen, dass die wirtschaftlichen und politischen Nachteile beachtlich sein werden, sollte das liechtensteinische Volk den EWR und die Lösungsplattform mit der Schweiz ablehnen und sich für den Weg der Isolation entscheiden.

Persönlich bin ich aber davon überzeugt, dass die grosse Mehrheit des liechtensteinischen Volkes so eine risikoreiche Politik ablehnt. Sie würde unserer jahrhundertealten Tradition der Aussenpolitik widersprechen. Wir waren Mitglied des Heiligen Römischen Reiches, des Rheinbundes, des Deutschen Bundes, hatten dann ein enges Vertragsverhältnis mit Österreich-Ungarn und nun seit über 70 Jahren mit der Schweiz. Bei nüchterner Betrachtungsweise kann meiner Meinung nach jeder erkennen, dass es zur Lösungsplattform mit der Schweiz und dem EWR weder heute noch morgen eine bessere Alternative geben wird. Ein überzeugendes Ja von Landtag und Volk zum EWR und zur Lösungsplattform mit der Schweiz wäre für unsere zukünftige Partnerschaft zur Schweiz und zu Europa sehr wichtig. Wir müssen in dieser Zeit des Wandels unserer Aussenpolitik eine feste Grundlage geben.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete. Sie stehen vor einer historischen Entscheidung für Land und Volk, und ich wünsche Ihnen dafür viel Erfolg und Gottes Segen.