Thronreden

08. März 1988

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 8. März 1988

Mit Interesse habe ich die aussenpolitische Debatte des Landtages im letzten Jahr verfolgt. Sie haben die bilateralen Beziehungen insbesonders zu unseren Nachbarländern behandelt und sind auch auf die internationalen Organisationen eingegangen, bei denen Liechtenstein Mitglied ist. Ich möchte den Politikern ganz besonders danken, die sich in der Debatte und auch danach für eine Mitgliedschaft Liechtensteins bei den Vereinten Nationen eingesetzt haben. Es scheint, dass dieses Thema politisch noch immer nicht sehr populär ist, aber für die internationale Anerkennung der liechtensteinischen Souveränität ist es umso wichtiger.

Es stellt sich nun die Frage, wie man diese Angelegenheit weiter behandeln soll. Die Erfahrungen in der Schweiz zeigen uns, dass Zuwarten bei der Bevölkerung zu keinem Meinungsumschwung führt. Deshalb scheint es mir richtig, dass die politischen Instanzen möglichst bald eine Entscheidung fällen, ob Liechtenstein eine Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen anstreben soll oder nicht.

Schon öfters habe ich darauf hingewiesen, dass Liechtenstein eine Mitgliedschaft sehr viel notwendiger braucht als die Schweiz. In den letzten Jahren konnte ich bei Diskussionen immer wieder die Erfahrung machen, dass auch Gegner von der Notwendigkeit eines solchen Schrittes überzeugt werden können. Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass die Unterstützung seitens der Bevölkerung für eine UNO-Mitgliedschaft in Liechtenstein etwas grösser ist als in der Schweiz.

Noch nicht geklärt ist das innenpolitische Verfahren für einen Beitritt zu den Vereinten Nationen. Es stellt sich konkret die Frage, ob der Landtag oder die Bevölkerung darüber entscheiden soll.

Die Regierung hat zwei Gutachten in Auftrag gegeben, inwieweit nach unserer Verfassung eine Volksabstimmung in dieser Angelegenheit möglich ist oder nicht. Leider sind die beiden Gutachter bei der Interpretation unserer Verfassung unterschiedlicher Auffassung, so dass wir für dieses Problem eine andere Lösung finden müssen.

Artikel 112 unserer Verfassung gibt einen Hinweis darauf, wie man vorgehen sollte: „Wenn über die Auslegung einzelner Bestimmungen der Verfassung Zweifel entstehen und nicht durch Uebereinkunft zwischen der Regierung und dem Landtage beseitigt werden können, so hat hierüber der Staatsgerichtshof zu entscheiden.“

Wenn nun Landtag und Regierung sich mit dieser Frage beschäftigen, sollten sie einige Grundsätze unserer Verfassung berücksichtigen. Die Grundlagen für unseren Staatsaufbau sind in Artikel 2 der Verfassung festgehalten: „Das Fürstentum ist eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage.“

Bei der Eröffnung des Liechtenstein-Institutes hat Professor Riklin mit Recht darauf hingewiesen, dass Liechtenstein die erste vollgültige Mischverfassung in der Geschichte geschaffen hat. Das be-deutet, dass wir mit unserer Verfassung 1921 Neuland betreten haben, und bei der Interpretation und Weiterentwicklung derselben uns kaum an Vorbilder halten können.

Es ist interessant, festzustellen, dass die Väter unserer Verfassung sehr wohl unterschieden haben zwischen dem demokratischen Element einerseits und dem parlamentarischen andererseits. Demokratie bedeutet die Herrschaft des Volkes, währenddem der Parlamentarismus die Herrschaft einer gewählten Elite ist. Das Parlament kann man auch als das aristokratische Element bezeichnen, welches sich in der Verfassungsgeschichte neben der Monarchie und der Demokratie herausgebildet hat.

Fast alle Verfassungen sind genauer betrachtet Mischverfassungen. In der Regel dominiert das aristokratische Element – die Herrschaft der Wenigen. Das monarchische Element ist meistens verkümmert, selbst wenn man den Präsidenten einer Republik als gewählten Monarchen bezeichnet. Das demokratische Element konnte sich mit Ausnahme der Schweiz und Liechtenstein nur wenig entwickeln – die Herrschaft des Volkes beschränkt sich gewöhnlich darauf, in regelmässigen Abständen ihre Aristokratie und manchmal auch ihren Monarchen zu wählen.

In Artikel 2 unserer Verfassung werden nicht nur diese drei Grundelemente ausdrücklich erwähnt, sondern es wird auch festgehalten, wo im Zweifelsfalle die politische Macht liegt: „Die Staatsgewalt ist im Fürsten und im Volk verankert und wird von beiden nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung ausgeübt.“ Die von Regierung und Landtag ausgeübte Staatsgewalt ist deshalb eine von Fürst und Volk abgeleitete Gewalt. Der Landtag kann die im Volk verankerte Staatsgewalt nur gemäss Artikel 66 einschränken, indem er seine Gesetzesentscheidungen oder Finanzbeschlüsse als dringlich erklärt.

Sprechen diese Teile unserer Verfassung alle für die Möglichkeit einer Volksabstimmung auch in Fragen der Aussenpolitik, so gibt es Argumente, die dagegen sprechen. Offensichtlich sieht unsere Verfassung Bereiche vor, wo gegen Entscheidungen des Landtages kein Referendum möglich ist. So legt z.B. Artikel 8 die Hauptverantwortung für die Aussenpolitik in die Hände des Fürsten. Eine Mitwirkung des Landtages ist nur in einigen aufgezählten Fällen möglich: „Staatsverträge, durch die Staatsgebiet abgetreten oder Staatseigentum veräussert, über Staatshoheitsrechte oder Staatsregale verfügt, eine neue Last auf das Fürstentum oder seine Angehörigen übernommen oder eine Verpflichtung, durch die den Rechten der Landesangehörigen Eintrag getan würde, eingegangen werden soll, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung des Landtages.“ Artikel 66 über die Volksrechte sieht nicht vor, dass gegen diese Entscheidungen des Landtages das Referendum ergriffen werden kann.

Dies deutet darauf hin, dass die Mitwirkung des Volkes bei der Aussenpolitik nicht erwünscht war, als man die Verfassung niederschrieb. Meiner Ansicht nach würde es aber Artikel 2 widersprechen, wenn man das Volk grundsätzlich von jeder aussenpolitischen Entscheidung ausschliesst. Da die ursprünglichen Träger der Staatsgewalt Fürst und Volk sind, würde es wohl gegen den Sinn der Verfassung verstossen, wenn Fürst und Landtag einen Staatvertrag gegen den Willen des Volkes verabschieden der z.B. die direkte Demokratie in wesentlichen Punkten einschränkt.

Eine Mitgliedschaft bei den Europäischen Gemeinschaften würde eine solche Einschränkung unserer Demokratie bedeuten. Im Falle eines Beitrittes zu den Vereinten Nationen ist dies aber zweifellos nicht der Fall. Sollte sich der Landtag für einen Beitritt entschliessen, kann wahrscheinlich bei der heutigen Rechtslage kein Referendum dagegen ergriffen werden.

Es ist natürlich denkbar, dass der Landtag die Möglichkeit haben will, jede Entscheidung, die er trifft, dem Volke vorlegen zu können. Da der Landtag seine Staatsgewalt vom Volk ableitet, wäre dies von unserem Staatsaufbau grundsätzlich vertretbar. Es wäre aber dann vernünftiger, die Verfassung in diesem Punkt zu ändern und nicht solche Abstimmungen nur auf eine Interpretation der Verfassung gemäss Artikel 112 abzustützen.

Im Vordergrund des aussenpolitischen Interesses steht bei uns derzeit die europäische Integration und nicht die UNO. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass für die europäische Politik Liechtensteins die internationale Anerkennung unserer Souveränität von grösster Wichtigkeit ist. Sollte eine Entscheidung über einen Beitritt zu den Vereinigten Nationen allzulange aufgeschoben oder für absehbare Zeit abgelehnt werden, könnte dies langfristig die liechtensteinische Position in Europa schwächen. Ich hoffe sehr, dass es in dieser Legislaturperiode gelingt, einen Schritt in die richtige Richtung zu setzen. Für diese Aufgabe wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Gottes Segen.