Thronreden

27. März 1985

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 27. März 1985



Auch in dieser letzten Legislaturperiode vor den Landtagswahlen liegt vor Ihnen ein umfangreiches Programm. Die zeitliche Belastung der Landtagsabgeordneten hat deshalb in beiden Parteien Initiativen zur Erweiterung des Landtages hervorgebracht. Angesichts des gemeinsamen Zieles, den Landtag zu erweitern, ist es erstaunlich, dass nicht alle Möglichkeiten eines Kompromisses ausgeschöpft wurden. Sehr wahrscheinlich hätte ein gemeinsamer Vorschlag beider Parteien bessere Aussichten, vom Volke angenommen zu werden.

Die Frage der Erweiterung des Landtages deckt ein grundsätzliches Problem auf, das auch in den anderen Staaten diskutiert wird. In den letzten Jahrzehnten sind in allen demokratischen Ländern die Staatsaufgaben rasch gewachsen. Den gewählten Volksvertretern und den Regierungsmitgliedern fällt es immer schwerer, den mit den Aufgaben ebenfalls stark gewachsenen Staatsapparat zu kontrollieren und zu regieren. Die Grundzüge der parlamentarischen Demokratie wurden entwickelt zu einem Zeitpunkt, da der Staatsapparat im Vergleich zum Parlament und der Regierung sehr viel kleiner war. Dieses ursprüngliche Gleichgewicht ist in fast allen demokratischen Ländern durch die erwähnte Entwicklung verloren gegangen. Es ist deshalb zweifellos richtig, wenn man sich über diese Problematik Gedanken macht.

Die Erweiterung des Landtages und der Regierung ist eine Möglichkeit, das alte Gleichgewicht wieder anzustreben. Bei uns könnte die Regierung auch verstärkt werden, indem die Zahl der vollamtlichen Regierungsmitglieder erhöht wird.

Ein wichtiger Punkt scheint mir auch die Verbesserung der Organisationsstruktur und des Informationsflusses in der Staatsverwaltung zu sein. In verschiedenen Staaten, so auch bei uns, werden derzeit mit aussenstehenden Fachleuten Anstrengungen in diese Richtung unternommen.

Die Erfahrungen in den anderen Ländern haben gezeigt, dass diese Massnahmen nur beschränkt wirken. Der Staatsapparat ist eben kein Wirtschaftsunternehmen, das man relativ leicht mit einem ausgeklügelten Rechnungswesen kontrollieren kann. Die Zielsetzung eines Staates ist nicht Gewinn zu machen, sondern ist anderer Natur. Ob die Ziele in den einzelnen Bereichen erreicht wurden, lässt sich mit einem noch so raffinierten Zahlenwerk kaum überprüfen .

Da es so schwierig ist, einen grossen Staatsapparat zu kontrollieren und zu leiten, scheint mir eine Beschränkung des Staates auf seine wesentlichsten Aufgaben der erfolgversprechendste Weg zu sein, um das alte Gleichgewicht wieder herzustellen. Jene Bereiche, welche der Privatinitiative oder kleineren politischen Einheiten überlassen werden können, sollten abgestossen werden. Auch hier sieht man in demokratischen Staaten Ansatzpunkte für so eine Entwicklung. Einige Staaten privatisieren jene Bereiche der Wirtschaft, in denen sie tätig waren. Andere Länder dezentralisieren sich und treten Kompetenzen an Gemeinden und Regionen ab. Diese Entwicklung wurde sicher auch angeregt durch die Beobachtung, dass Industriestaaten mit einer dezentralisierten und föderativen Struktur sowie einem geringen Anteil der öffentlichen Hand am gesamten Brutto-Sozialprodukt wirtschaftlich in der Regel erfolgreicher waren.

Selbstverständlich ist es sehr schwierig, einen politischen Konsens herbeizuführen, auf welche Aufgaben ein Staat sich konzentrieren soll und weiche er aufgeben kann. Aus dem Blickwinkel des Landwirtes ist eine gesunde Landwirtschaft für den Staat lebensnotwendig. Für viele Betroffene ist ein funktionierendes Sozialsystem eine entscheidende Aufgabe des Staates. Für andere steht wiederum das Schulsystem im Vordergrund.

Bevor ein Staat irgendwelche Aufgaben übernehmen kann, muss er existieren und längerfristig funktionieren. Allzu oft wird die Existenz des Staates als eine Selbstverständlichkeit oder ein Geschenk des Himmels betrachtet. Über dessen Entstehung und weiteren Bestand denkt man im Vergleich zu den Forderungen, die man an ihn stellt, nur wenig nach. Besonders wir Liechtensteiner laufen Gefahr, diese elementaren Zusammenhänge zu übersehen: Seit langer Zeit ist man von fremder Besetzung verschont geblieben, der Wehrdienst ist vor über hundert Jahren abgeschafft worden und ein wesentlicher Teil der Staatseinnahmen stammt direkt oder indirekt aus dem Ausland.

Sicher gehört es zu den primären Aufgaben des Staates, seine eigene Existenz und die seiner Bürger sowie deren Interessen zu schützen. Liechtenstein ist zweifellos zu klein, um dies militärisch zu tun. Selbst wenn wir es wollten, könnten wir uns auch nicht durch den Beitritt zu einem militärischen Bündnis schützen, denn unsere beiden Nachbarstaaten sind neutral. Aber auch grössere Staaten vertrauen nicht nur auf ihre militärische Macht, sondern setzen auf das Mittel der Diplomatie.

Artikel 8 der liechtensteinischen Verfassung weist dem Staatsoberhaupt auf dem Gebiet der Aussenpolitik eine besondere Verantwortung zu. Deshalb möchte ich etwas ausführlicher auf diese wichtige Aufgabe des Staates eingehen.

Ein kleiner Staat, wie wir es sind, muss sich wegen der beschränkten finanziellen und personellen Möglichkeiten auf das Notwendigste konzentrieren. Dabei stehen natürlich unsere Beziehungen zur Schweiz im Vordergrund. Mit der Schweiz verbinden uns nicht nur wichtige Verträge, sondern auch eine enge politische Verwandtschaft. Die Schweiz und Liechtenstein sind die einzigen europäischen Staaten, in denen das Element der direkten Demokratie so eine wichtige Rolle spielt. Die Aufgaben des Staates werden in beiden Völkern sehr ähnlich gesehen. Man kennt eine starke Dezentralisierung der Staatsmacht, die sich in der Gemeindeautonomie bzw. in der Selbständigkeit der schweizerischen Kantone zeigt. In beiden Ländern ist der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und auf andere Bereiche der Gesellschaft verhältnismässig gering. Die Schweiz hat uns in der Vergangenheit viel geholfen und zeigt auch heute für unsere Probleme Verständnis.

Auch wenn die Schweiz aus den erwähnten Gründen uns politisch näher steht, so sind gute Beziehungen zu unserem anderen Nachbarstaat Österreich ebenso wichtig. Die Bindungen mit Österreich sind aus der Vergangenheit und Gegenwart vielfältig. Dies zeigt zum Beispiel die dem Landtag vorgelegte Strafrechtsreform, welche weitgehend dem österreichischen Vorbild entspricht. Politiker und Privatpersonen haben auf beiden Seiten der Grenze die Beziehungen, welche durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges unterbrochen waren, ständig ausgebaut. Österreich hat Liechtenstein immer wieder seine Unterstützung gewährt.

Wir sind zu klein, um ähnlich intensive bilaterale Kontakte mit anderen Staaten zu pflegen. Es war deshalb eine kluge Entscheidung, das Schwergewicht der weiteren Aussenbeziehungen auf die multilaterale Ebene zu verlegen.

Die Richtigkeit dieser Entscheidung wurde auch durch die internationale Entwicklung bestätigt. Immer mehr Fragen, die unser tägliches Leben beeinflussen, werden heute auf europäischer oder weltweiter Ebene entschieden. Als Beispiel möchte ich nur den Umweltschutz erwähnen, der die liechtensteinische Öffentlichkeit derzeit so beschäftigt. Auch wenn der gesamte Privatverkehr im Land verboten wird, sind die positiven Auswirkungen auf den liechtensteinischen Wald gering. Das Problem der Luftverschmutzung kann Liechtenstein deshalb nur international lösen. Aber gerade auf internationalen Konferenzen und in multilateralen Organisationen, wie z.B. dem Europarat, sind die Einflussmöglichkeiten eines Kleinstaates wie Liechtenstein grösser als auf der bilateralen Ebene. Wir haben dort in den meisten Fällen das gleiche Stimmrecht wie ein Gross-Staat und können bei mancher Abstimmung entscheidend sein.

Es geht für unser Land aber nicht nur um die Mitwirkung bei Lösungen von Problemen, die für uns wichtig sind, sondern langfristig dient unsere Aussenpolitik dazu, die Existenz Liechtensteins und das Selbstbestimmungsrecht unseres Volkes abzusichern. Grosse Staaten geben viel Geld aus, um diese Grundrechte militärisch zu verteidigen, das reiche Liechtenstein unternimmt vergleichsweise wenig, um Existenz und Selbstbestimmungsrecht wenigstens auf diplomatischem Wege für die Zukunft zu sichern. Die Bereitschaft, Kleinstaaten als vollwertige Staaten anzusehen und ihr Selbstbestimmungsrecht zu achten, ist leider keine Selbstverständlichkeit. Wer aussenpolitisch für Liechtenstein tätig ist, wird dies bestätigen. Noch zu Beginn der Siebzigerjahre gab es in den Vereinten Nationen eine Studiengruppe, welche Vorschläge ausarbeitete, um die Mitgliedschaftsrechte kleiner Staaten wie Liechtenstein entscheidend einzuschränken. Sollten sich solche Tendenzen international durchsetzen, wären längerfristig unser Selbstbestimmungsrecht und unsere Existenz gefährdet.

Solche Entwicklungen kann Liechtenstein nur durch eine aktive Aussenpolitik bekämpfen. Wir müssen hinausgehen und der Welt beweisen, dass wir ein vollwertiger Staat sind mit dem gleichen Existenzrecht wie ein grosser Staat. Die andere Möglichkeit ist, so wenig wie möglich aufzufallen, in der Hoffnung, dass man von der Weltpolitik übersehen wird. Selbst in der Vergangenheit, als Liechtenstein arm war und ausserhalb seiner Grenzen kaum beachtet wurde, konnte man sich nicht ausschliesslich auf so eine Politik verlassen. Es ist fraglich, ob Liechtenstein den Zweiten Weltkrieg ohne Schaden überstanden hätte, wäre man damals nicht diplomatisch aktiv gewesen. Jede Diplomatie muss versagen, wenn man das diplomatische Parkett nicht betritt.

Wie richtig die aktivere Aussenpolitik Liechtensteins in den letzten 10 Jahren war, sind die positiven Ergebnisse, die man heute schon feststellen kann. Das Bild Liechtensteins im europäischen Ausland hat sich gerade in den Kreisen, welche für uns wichtig sind, wesentlich verbessert. Das sind Behörden, Politiker, führende Persönlichkeiten in der Wirtschaft und teilweise sogar die Medien. In vielen Fällen konnten Fehlinformationen korrigiert oder ein besseres Verständnis für die besondere Situation Liechtensteins erreicht werden. Es wäre falsch, auf diesem für Liechtenstein so positiven -Weg nicht weiterzuschreiten. Der Weg zurück ist nicht mehr möglich. Wir sind schon zu sehr aufgefallen - z.B. durch Erfolge in der Wirtschaft oder im Sport - um von der Weltffentlichkeit übersehen zu werden.

Der Beitritt Liechtensteins zur UNO ist ein weiterer logischer Schritt auf dem eingeschlagenen Weg. Die Position Liechtensteins wäre international wesentlich besser abgesichert, als dies heute der Fall ist. Wie ich schon anlässlich der Jungbürgerfeier vor ein paar Monaten erwähnt habe, ist eine UNO-Mitgliedschaft für Liechtenstein sehr viel wichtiger als für grössere Staaten wie die Schweiz. Auch um unsere Beziehungen zu intensivieren mit den europäischen Staaten, welche nicht im Europarat vertreten sind, und den vielen aussereuropäischen Staaten, mit denen wir Handel treiben, ist die UNO-Mitgliedschaft die wirtschaftlichste Lösung.

Falls wir auf dem eingeschlagenen Weg bleiben und nicht . mit unserer Aussenpolitik im Graben landen wollen, braucht es die Unterstützung im Volk. Dabei tragen Sie, sehr geehrte Herren Landtagsabgeordnete, als gewählte Vertreter des Volkes eine besondere Verantwortung. Eine Aussenpolitik ist in einem Land mit direkter Demokratie nur erfolgreich, wenn diese vom Volk verstanden und getragen wird.

In Gesprächen habe ich immer wieder falsche Vorstellungen über die Höhe der Kosten einer UNO-Mitgliedschaft gehört. Für viele Liechtensteiner ist dies der wichtigste Grund, einen Beitritt abzulehnen. Der jährliche Mitgliedsbeitrag liegt derzeit für einen Staat unserer Grosse unter Fr. 250000.. Die weiteren Kosten hängen davon ab, welche Bedeutung wir der Tätigkeit Liechtensteins bei den Vereinten Nationen beimessen. Persönlich scheint es mir sinnvoll, sehr bescheiden anzufangen, um den personellen und finanziellen Aufwand in engsten Grenzen zu halten.

Die UNO-Mitgliedschaft ist für Liechtenstein so wichtig, dass ich mich entschlossen habe, einen finanziellen Beitrag zu leisten. Den jährlichen Repräsentationszuschuss des Landes von Fr. 250'000. möchte ich verwenden, um einen Teil der Kosten abzudecken, welche sich für das Land durch den Beitritt zur UNO ergeben. Die verbleibenden Kosten sind verglichen mit dem- Staatsbudget von ca. 300 Millionen Schweizer Franken sehr gering. Sollten uns nicht allein schon wirtschaftliche Überlegungen überzeugen, diese vergleichsweise kleinen Beträge einzusetzen, um die wesentlich höheren finanziellen Vorteile unserer Eigenständigkeit besser abzusichern?

Einem guten Liechtensteiner sollte aber die Existenz seines Heimatstaates nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen wertvoll sein. Für unsere Vorfahren wäre es finanziell oft vorteilhafter gewesen, auf die Unabhängigkeit Liechtensteins zu verzichten. Wir profitieren heute in grossem Masse von der Freiheit unseres Heimatlandes. Das Urteil zukünftiger Generationen soll nicht lauten, dass wir allzu materialistisch eingestellt waren und deshalb aus Gedankenlosigkeit oder Kurzsichtigkeit uns zu wenig um die Existenz dieses Staates und seiner Institutionen gesorgt haben. Wohlstand und Frieden, die wir heute gemessen, dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns dies immer wieder neu verdienen müssen. Die Welt verndert sich immer schneller. Wir müssen uns deshalb gegenüber früher noch mehr Gedanken über unser Staatswesen machen und versuchen, noch weitblickender zu handeln.

Ihnen, sehr geehrte Herren Landtagsabgeordnete, wünsche ich für diese Aufgaben und die kommende Legislaturperiode alles Gute und Gottes Segen.