Thronreden

13. März 1984

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 13. März 1984



Seine Durchlaucht der Landesfürst hat mich gemäss Artikel 54 unserer Verfassung bevollmächtigt, den Landtag zu eröffnen.

Die Regierung hat für diese Sitzungsperiode die Vorlage für eine Verfassungsänderung ausgearbeitet, welche die Frage der Stellvertretung regelt. Falls die vorgeschlagene Verfassungsänderung angenommen wird, ist es bekanntlich der Wunsch des Landesfürsten, mich zu seinem Stellvertreter zu ernennen und sich von der aktiven Politik zurückzuziehen. Er wird zwar weiterhin Staatsoberhaupt bleiben, aber dennoch wird zu diesem Zeitpunkt einer der wichtigsten Zeitabschnitte der liechtensteinischen Geschichte zu Ende gehen. Die vergangenen 46 Jahre hat mein Vater die Entwicklung Liechtensteins wesentlich mitgestaltet. Ich möchte ihm und all den anderen von Herzen danken, die beigetragen haben, zuerst am Überleben Liechtensteins während den Wirren des 2. Weitkrieges und dann an dem unglaublichen Aufschwung unseres Landes.

Um die Bedeutung dieser vergangenen Jahrzehnte zu begreifen, genügt es, die vergangenen Jahrhunderte zu betrachten. In der langen Geschichte dieses Landes stand fast immer die reine Überlebensfrage im Vordergrund, sowohl für den Einzelmenschen wie auch für die Gemeinschaft. Im Unterschied zu vielen anderen Regionen kannte Liechtenstein keine Periode besonderen Wohlstandes und war nie ein politisches Zentrum, welches über seine Grenzen hinausstrahlte.

Auch 1938 gab es keinen Anlass, auf eine Wende der liechtensteinischen Geschichte zu hoffen. Das Land bot einer zahlenmässig beschränkten Bevölkerung ein bescheidenes Leben, aber der Bevölkerungsüberschuss musste auswandern, um zu überleben.

Von aussen war wieder einmal die Selbständigkeit Liechtensteins bedroht.

Heute ist das alles Geschichte. Aus dem Armenhaus Europas sind wir das Land mit dem höchsten Lebensstandard geworden. Liechtensteins Selbständigkeit wird nicht mehr in Frage gestellt. In internationalen Gremien können unsere Vertreter gleichberechtigt mit anderen unabhängigen Staaten ihre Stimme erheben.

Für dieses Erbe, welches unsere Väter geschaffen haben, müssen wir zutiefst dankbar sein. Neben der Dankbarkeit soll auch das Gefühl der Verantwortung unser Herz erfüllen - die Verantwortung, dieses Erbe zu bewahren und so weit wie möglich zu mehren. Treten wir eines Tages zugunsten der nächsten Generation zurück, können wir froh und stolz sein, wenn es uns gelingt, eine ähnliche Leistung vorzuweisen.

Natürlich erheben sich in der jüngeren Generation immer wieder kritische Stimmen gegen Auswüchse der Wohlstandsgesellschaft, gegen Veränderungen der Umwelt, gegen die Politik der Parteien und der Regierung und so vieles mehr. Das soll aber kein Grund zur Beunruhigung sein. Im Gegenteil: fehlt jede Kritik, wird es erst beunruhigend. Es bedeutet entweder, dass der jungen Generation die Leistungen ihrer Väter vollkommen gleichgültig sind oder ihr Wille und Phantasie fehlt, das Vorhandene zu verbessern und das Erbe zu mehren.

Ob wir so erfolgreich sein werden wie die Generation unserer Väter kann niemand voraussagen. Wir haben aber allen Grund, optimistisch in die Zukunft blicken zu können. Ein Kleinstaat wie wir es sind hat in einer Welt, die sich immer rascher ändert, viele Vorteile. Wir sind beweglicher und können uns auf neue Situationen rascher einstellen.

Innenpolitische Probleme werden früh erkannt und können schneller gelöst werden. Die Regierung ist sehr viel näher am Volk als in einem grossen Staat und damit auch näher an der politischen Realität. Die Autonomie unserer Gemeinden, die Elemente der direkten Demokratie, die Struktur unserer Wirtschaft mit ihren vielfältigen Klein- und Mittelbetrieben sind alles wichtige Faktoren, die das Entstehen einer grossen und unpersönlichen Bürokratie fern vom Bürger bremsen. Folgender Ausspruch von Alt-Regierungschef Alexander Frick ist in die politische Literatur eingeflossen: "Bevor eine Grossmacht von einem Problem erfährt, haben wir es schon halb gelöst".

Ebenso falsch wie es ist, pessimistisch in die Zukunft zu blicken, wäre es, die Gefahren zu unterschätzen, die einer kleinen Gemeinschaft wie Liechtenstein drohen können. Es wird auch für uns Rückschläge und Enttäuschungen geben, auch wir werden Fehler machen, denn niemand ist unfehlbar. Aber solange wir aus Fehlern lernen und wir sie wieder korrigieren können, werden sie nicht zur Katastrophe. Rückschläge und Enttäuschungen können uns auch helfen, Probleme zu erkennen und neue Wege zu finden. Wenn der Wille zur Zusammenarbeit da ist, können wir mit Einsatz und Ausdauer alle innenpolitischen Probleme lösen.

Bei Problemen, die von aussen an uns herangetragen werden, sind wir in den meisten Fällen auf die Kooperation mit anderen Ländern angewiesen. Aber dieses Schicksal teilen wir auch mit den grossen Staaten. Umweltprobleme wie das Waldsterben können offensichtlich nur europaweit gelöst werden. Die Wirtschaft aller westeuropäischen Staaten ist mehr oder weniger vom freien Welthandel abhängig. Keines dieser Länder ist stark genug, um den Frieden in Europa zu sichern oder sich vor den Auswirkungen eines 3. Weltkrieges wirksam zu schützen.

Im Unterschied zu grossen Staaten sind wir jedoch noch stärker abhängig von einer vernünftigen internationalen Zusammenarbeit. Solange wir auf dem Boden der politischen Realität bleiben, ist es deshalb in unserem eigenen Interesse, wenn wir in internationalen Gremien unsere Stimme erheben. Auch wenn unsere Stimme noch so klein und schwach ist, wird sie ein Beitrag sein, der vielleicht einmal entscheidend ist für unsere Zukunft.

Mit Gottvertrauen und Zuversicht sind hier in der Vergangenheit scheinbar unüberwindbare Hindernisse bewältigt worden. Das gleiche Gottvertrauen und die gleiche Zuversicht wünsche ich Ihnen, sehr geehrte Herren Landtagsabgeordnete, der Regierung sowie allen jenen, die an der Zukunft Liechtensteins mitarbeiten.