Thronreden

28. Februar 1973

Thronrede, Fürst Franz Josef II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 28. Februar 1973

Wie im Leben des einzelnen Menschen Tage gefeiert werden, an denen vergangener Ereignisse gedacht wird, so ergeben sich auch solche Zeiten des Zurückerinnerns im Leben der Staaten und ihrer Völker. Wir im Lande gedenken im heurigen Jahre, dass vor 50 Jahren der Zoll- und Wirtschaftsvertrag mit der Schweiz abgeschlossen wurde. Dieser Vertrag hat so entscheidend in das Leben und die Entwicklung unseres Landes und Volkes eingegriffen, dass wir uns mit Recht dieses Datums erinnern. Vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an hat sich eine stetige Aufwärtsentwicklung Liechtensteins trotz Krisen, wie der Weltwirtschaftskrise, ergeben. Dass wir jetzt in Europa das prozentuell höchstindustrialisierte Land sind, verdankt man im gleichen Masse der Tüchtigkeit der Liechtensteiner wie dem Wirtschafts- und Zollvertrag mit der Schweiz. Wenn wir von wirtschaftlicher Entwicklung sprechen, vergessen wir nicht darauf, dass diese eine Voraussetzung bildet, dass sich ungestört das geistige und kulturelle Leben eines Volkes entwickeln kann. Der Vertrag stellte in den Augen der Schweizer stets keine formale Angelegenheit dar, sondern wurde von ihnen mit dem Geiste echter Freundschaft erfüllt. Wenn wir daher von diesem Jubiläum sprechen, so bedeutet dies, dass wir Gefühlen unserer Dankbarkeit gegenüber der Schweiz, ihrem Volke und ihren Behörden Ausdruck geben wollen. Die Liechtensteiner, welche sich auch der Schweiz in enger Freundschaft verbunden fühlen, wünschen, dass dieses enge Band weiter bestehen bleibe.

Gerade dieser in ungeahnter Schnelligkeit sich vollziehende Aufschwung unseres Landes bringt Anforderungen und Aufgaben im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben des Volkes.

Seit den letzten Jahren werden Massnahmen in unserer Bergwelt durchgeführt unter der Bezeichnung «Berglandsanierung», welche eine gesunde Entwicklung fordert. Die Mehrzahl der Liechtensteiner lebt aber am Fusse der Berge oder in der Rheinebene. Wir müssen uns daher diesbezüglich Gedanken machen und Massnahmen betreffend dieses Gebiets vollziehen, welche in der Zukunft ein der menschlichen Natur entsprechendes Wohnen und Leben ermöglichen. In unserer näheren oder weiteren Nachbarschaft wird jetzt viel über eine Anpassung des Bodenrechtes gemäss den Anforderungen der Zeit gesprochen. Wir werden ebenfalls eine für uns angepasste Lösung dieses Rechtes in den nächsten Jahren finden müssen. Es wird auch eine Zusammenarbeit der Gemeinden und des Landes bei Entschliessungen betreffend den sozialen Wohnbau erforderlich sein, welche über den Kreis der Gemeindebürger hinausgehen sollten.

Ab dem heurigen Jahre stellen sich unserem Lande Aufgaben, welche grosse finanzielle Leistungen erfordern werden. Ich brauche nur zu erwähnen die Erbauung von Schulen, Ausbau des Strassennetzes und Subventionierung von Seiten des Landes für notwendige Bauvorhaben in den Gemeinden. Das bedeutet aber, dass wir uns auf eine mehrjährige Planung unserer ausserordentlichen Ausgaben festlegen müssen und dass das Land genau alle grossen Subventionierungen überdenken sollte und sich auch zu fragen hat, inwiefern der jetzige Finanzausgleich zwischen Land und Gemeinden auf die Dauer für das Land tragbar ist

Die durch die Entwicklung gesteigerten Ansprüche an die Verwaltung des Landes verlangen eine Reorganisation eben dieser Landesverwaltung. Die Regierung muss entlastet werden, um nicht unterzugehen in der Flut von unwichtigen, kleinen Problemen und Anfragen, welche auf sie zukommen. Eine Regierung ist eben, wie der Name schon sagt, in erster Linie da, um zu regieren, und nicht, um nur zu verwalten. Für die Verwaltung sind die Beamten bestellt, welchen durch eine moderne Reform ihre entsprechenden Aufgabenkreise und Verantwortungen zuzuteilen sind.

Ich bewundere, wie der Liechtensteiner viele Fragen und Anforderungen geistig verarbeiten konnte, welche die schnelle Umwandlung in den letzten Jahrzehnten vom unterentwickelten Agrarstaat zu einer hochindustrialisierten Gemeinschaft brachte.

Aber es stellen sich, was bei so einem komplizierten Vorgang nicht anders möglich ist, Probleme, welche man oft nicht bemerkt hat

Wir sind im Lande zufrieden, dass wir ein hohes wirtschaftliches Niveau erreicht haben, von welchem der einzelne Landesbürger profitiert. Dieser Standard ist aber nicht allein durch die Arbeit der Liechtensteiner erreicht worden, sondern in hohem Masse durch die Mitarbeit von Ausländern. Wenn wir also dieses für jeden Liechtensteiner bequeme wirtschaftliche Niveau halten wollen, müssen wir als mit Verstand begabte Wesen auch die Konsequenzen ziehen. Das bedeutet, dass sich die Liechtensteiner damit abfinden müssen, dass eine grosse Anzahl Fremder im Lande dauernd wohnen wird und dass verdienten Ausländern, deren Familien schon durch lange Zeit hier weilen, die Staatsbürgerschaft zu geben ist.

Wir sollten uns im Lande auch bewusst sein, dass sich durch das Entstehen der Industriegesellschaft die Stellung der Frau geändert hat. So sehr ich als Christ die Rolle der Frau in der Familie als eine überragende weibliche Aufgabe betrachte, so stellt, wie ich sehe, doch die moderne Industriegesellschaft der Frau neue Aufgaben und gibt ihr damit auch das Recht der politischen Betätigung.

Ich bin überzeugt, dass der kluge und nüchterne Sinn des Liechtensteiners, welcher bis jetzt eine gesunde Entwicklung des Landes ermöglichte, auch weiterhin die Bahn zeichnen wird.

Ich möchte nun noch Ihnen, meine Herren Abgeordneten, für die diesjährige Sessionsperiode des Landtages Gottes Segen und Beistand wünschen und erkläre hiemit den Landtag für eröffnet.