Thronreden

31. März 1971

Thronrede, Fürst Franz Josef II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 31. März 1971



In den letzten Jahren sind wir alle beeindruckt worden durch die grossen technischen und wissenschaftlichen Fortschritte in der Welt. Die einzelnen Etappen dieser Entwicklung reihen sich so schnell die eine an die andere, dass die Menschen von diesen Fortschritten nicht mehr überrascht werden und sie als fast selbstverständlich hinnehmen. Diese technische und wissenschaftliche Entwicklung bietet die Grundlage für eine glückliche Zukunft. Um diese zu erreichen, muss der einzelne Mensch mit all seinen Energien an der ständigen Weiterentwicklung seiner Persönlichkeit arbeiten, um so die moralische Kraft zu haben, Technik und Wissenschaft zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Da ich Optimist bin, glaube ich, dass dieser Weg weiter beschritten wird. Mein Optimismus als Liechtensteiner ist gross, wenn ich sehe, wie fliessend und ohne Erschütterungen in den letzten Jahren die Umstellung vom Agrarland zum Industriestaat vor sich ging. Damit möchte ich nicht sagen, dass keine Probleme entstanden sind und alle diese Probleme befriedigend gelösten werden konnten. Ich bin überzeugt, dass die liechtensteinische Jugend auch in der Zukunft eine gesunde geistige Einstellung und Stärke anstreben und sich nicht selbstzerstörerischem Pessimismus hingeben wird. In Selbstdisziplin werden wir auf den festen und gesunden Fundamenten, soweit solche frühere Generationen legten, weiter aufbauen, um in geistigen wie sozialen und wirtschaftlichen Belangen den gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechen zu können. Es wird sicher jeden von uns Liechtensteinern der Gedanke freuen, welche Möglichkeiten für positive Arbeit sich in den kommenden Jahren stellen werden. Ich brauche nur zu erinnern an den modernen Ausbau unseres Schulsystems, an eine notwendige weite Bildungsmöglichkeit für Erwachsene. Der Begriff Schule und Bildung umfasst das weite Feld des Ausbaues einer Allgemeinbildung, der gründlichen Schulung für das Berufsleben und der Formung des Charakters. Durch die, wie ich zu Anfang sagte, schnelle und gewaltige technische und wissenschaftliche Entwicklung rückt die Welt viel näher zusammen, vor allem auch hier in Europa. Dies wird gerade für den Idealismus der Jugend ein weites Feld der Betätigung geben.

Die Tätigkeit des Menschen umfasst nicht nur sein Studium, die Ausübung des Berufs, die Sorge um die Familie, sondern auch seine Arbeit im Interesse der Allgemeinheit. Es braucht und kann nicht jeder Politikerwerden, aber jeder kann, wie er ja auch dazu verpflichtet ist, nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten an den Interessen der Allgemeinheit teilnehmen und sich für diese einsetzen. Diese Verpflichtung, die gleichzeitig eine schöne und ideale Aufgabe ist, bedeutet, dass sich der Liechtensteiner für die Politik in seiner Gemeinde und im Lande interessiert. Da die Welt, wie gesagt vor allem in Europa, näher zusammenrückt, so fordert der Gang der Geschichte nicht nur die einzelnen Länder, sondern jeden einzelnen Menschen zur Mitarbeit auf. Auch wenn Liechtenstein klein und schwach ist, so kann es doch seinen Teil zu dieser Entwicklung beitragen, wenn sich seine Bürger dafür interessieren. Die Anteilnahme im Interesse der Allgemeinheit setzt voraus, dass sich die Menschen in grösseren oder kleineren Gruppen zusammenfinden, um ihre Ideen zu verwirklichen, denn der Mensch ist von Natur kein Einsiedler, sondern ein auf die Gesellschaft bezogenes Wesen. Das bedeutet, dass politische Parteien, auch in einem kleinen Lande wie Liechtenstein, eine Notwendigkeit sind. Freilich dürfen sie nicht als Selbstzweck bestehen, sondern immer vor Augen haben, dass sie für die Interessen der Allgemeinheit gegründet wurden. Die Vertreter des Volkes im Landtag bekräftigen dies ja nach jeder Neuwahl mit ihrem Eide.

Da sich diese Einstellung des Einzelnen und der Allgemeinheit nicht in Träumen und bequemen Betrachtungen bewahrheitet, sondern im täglichen Leben, möchte ich nun auf einige reale Gegebenheiten hinweisen.

Im vergangenen Jahre hat das Volk durch eine Initiative beschlossen, welche ich dann sanktionierte, dass die Gemeinden einen grösseren Anteil der Steuern in Empfang nehmen. Wenn auch kritisiert wird, dass durch diese Initiative die Mittel für das Budget des Staates in zu starkem Masse beschnitten wurden, so sehe ich die Lage anders. Das Budget des Staates muss natürlich auf ein verlässliches finanzielles Fundament gestellt werden. Da nun durch die erfolgte Umschichtung der Steuern die Gemeinden reichlich Geldmittel bekommen, wird es für den Staat nicht mehr notwendig sein, Subventionen im bisherigen Ausmasse zu gewähren. Dies wird auch eine geänderte Einstellung zum Subventionswesen bringen. Sollte sich die finanzielle Situation des Staates wesentlich ändern, wäre das Problem neu zu überdenken, damit die finanziellen Bedürfnisse des Staates auf jeden Fall gesichert sind. Wir dürfen hier im Lande nicht den Kopf in den Sand stecken. Der Ausbau der Infrastruktur wird uns in den nächsten Jahren stark belasten. Aufgrund der Arbeiten der Bildungskommission und des Herrn Reallehrer Vogt wissen wir, dass unser Schulwesen den Anforderungen der jetzigen Zeit angepasst werden muss. Aus diesen Studien können wir entnehmen, dass die Höhe der Kosten uns zu einer Zentralisierung der Oberschulen und Realschulen zwingt Wir müssen unsere Mittel so rationell wie möglich einsetzen und einem Budget, welches dem nicht Rechnung trägt, sondern lokalen Wünschen folgt, werde ich meine Zustimmung nicht geben können.

Auch in der Verwaltung des Landes muss man sich den modernen Erfordernissen anpassen. Es wird seit Jahren von einer Verwaltungsreform gesprochen. Diese müsste von gewissen Voraussetzungen ausgehen und bestimmte Ziele ansteuern. Die der Regierung unterstellten Behörden sind Verwaltungsorgane, während die Regierung einerseits die Spitze der Landesverwaltung darstellt, aber gleichzeitig auch als politische Instanz zu bezeichnen ist. Wenn die Regierung durch eine Verwaltungsreform entlastet würde, hätte sie genügend Zeit, sich wichtigen innen- und aussenpolitischen Fragen zu widmen, welche in den nächsten Jahren in vermehrtem Masse auf sie zukommen werden. Manche Beschlüsse, welche die Regierung bis jetzt beraten und setzen muss, sind oft unpolitische Einzelentscheidungen von geringer Bedeutung, die vor den Fachbeamten als gegebene Instanz gehören.

Für Ihre Arbeit in den kommenden Jahren wünsche ich Ihnen, meine Herren Abgeordneten, den Segen Gottes und erkläre die diesjährige Session des Landtages für eröffnet.