Thronreden

31. März 1958

Thronrede, Fürst Franz Josef II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 31. März 1958


Die Eröffnung der Sessionsperiode des neugewählten Landtages ist der gegebene Anlass, um sich an einige für unser Land wichtige Fragen zu erinnern.

Das Leben geht immer weiter und findet daher eine Weiterentwicklung aller gesellschaftlichen - seien es soziale oder wirtschaftliche - Probleme statt. Der Staat muss sich dessen bewusst bleiben und seine Gesetzgebung in gewissen Belangen immer wieder nach Ablauf einer Anzahl von Jahren diesen Gegebenheiten anpassen. Wenn das übersehen wird, können sowohl die Interessen des Einzelnen als auch die der Allgemeinheit Schaden leiden. Es trifft auch für diesen Fall das Sprichwort zu: Wer rastet, der rostet. Das Volk von Liechtenstein mit seinem gesunden Sinn für das Reale ist sich dessen im allgemeinen bewusst. Aus diesem Grunde haben auch die politischen Parteien es für notwendig gehalten, in ihr Wahlprogramm die wichtigen, einer Lösung harrenden Fragen aufzunehmen. Diese Einstellung der Öffentlichkeit verleiht wohl die sichere Hoffnung, dass die zu lösenden wichtigen Aufgaben in den nächsten Jahren sachlich und ernsthaft behandelt werden und dann eine für die Allgemeinheit befriedigende Erledigung finden. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn unberechtigte Interessen - sowohl parteipolitische als auch Einzel- oder Gruppeninteressen - bei der Behandlung der betreffenden Gesetze zurückgedrängt werden.

Als wichtige Fragen, deren Lösung in den nächsten Jahren erfolgen muss, möchte ich zwei Probleme hervorheben.

Seit einigen Jahren bildet die moderne Gestaltung des Steuergesetzes einen Streitpunkt der verschiedensten Gruppen- und Einzelinteressen, die zwar nach aussen mit lauter Stimme das Interesse der Allgemeinheit proklamieren, in Wirklichkeit oft aber nur an ihre eigene Interessensphäre denken. Die seit den letzten Jahrzehnten eingetretene wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung verlangt, ein Steuergesetz, das sowohl fiskalisch als auch wirtschaftlich und sozial seine Aufgabe erfüllt. Den sozialen Anforderungen entspricht das Steuergesetz, wenn die wirtschaftlich Schwächeren ja nach ihrem Einkommen und Vermögen entweder ganz befreit sind von den Steuern - wie der Einkommens- und Vermögenssteuer - oder einer geringeren Progression unterliegen. Sozialgesellschaftlich ist das Steuergesetz richtig konzipiert, wenn auch bei den Vermögenden und selbst bei den Reichsten die Progression verschieden abgestuft wird. Der Besteuerte, welcher minderjährige oder noch studierende Kinder zu erhalten hat, soll vom Gesetz günstiger behandelt werden als der Unverheiratete oder Kinderlose. Diese sozialgesellschaftlichen Richtlinien erfordern keine bedeutende Heraufsetzung der Progression in den hohen Einkommens- und Vermögensklassen/ selbst bei den Unverheirateten oder Kinderlosen. Die Hoheitsverwaltung in einem kleinen Lande wie Liechtenstein ist nämlich im Verhältnis zu grossen Ländern so einfach, dass der Geldbedarf der öffentlichen Hand pro Kopf der Bevölkerung bedeutend geringer ist. Wenn die Steuern stets nur so hoch festgesetzt werden, als es der unbedingt notwendige Geldbedarf des Staates und der Gemeinden erfordert, wird unsere Wirtschaft nicht wie in anderen Ländern durch übertriebene Steuern in ihrer gesunden Entwicklung gestört werden. Bei uns sollte auch in Zukunft das Prinzip herrschen, dass ein sozialer Ausgleich herbeigeführt wird durch die wirtschaftliche Besserstellung des Armen und nicht durch weitgehende Konfiskation des Einkommens und Vermögens der Reichen infolge unberechtigt hoher Steuern. Das Steuergesetz wird auch nur dann seine Aufgabe erfüllen, wenn es wirklich modern und klar abgefasst ist Die mit der Handhabung des Gesetzes betrauten Behörden haben nur dann die Möglichkeit, nach den tatsächlichen Vermögens- und Einkommensverhältnissen zu besteuern und nicht nach willkürlichen Annahmen.

Die zweite wichtige Frage, welche einer Lösung harrt, ist der Ausbau des höheren Schulwesens in unserem Lande. Diese Frage teilt sich in zwei Probleme/ und zwar soll einerseits das Stipendienwesen neu geordnet, anderseits Vorsorge getroffen werden, dass der begabte Landesbürger die Möglichkeit hat, hier im Lande eine höhere Schule zu besuchen. Zur Frage der Studienbeihilfe ist darauf hinzuweisen, dass es dem begabten Minderbemittelten von Seiten des Staates ermöglicht wird, sich die seinem Talent und seiner Neigung angemessene Bildung zu beschaffen. Staatliche Studienbeihilfen sollen nicht nur für Mittel- und Hochschulen ausgerichtet werden, sondern auch für höhere Fachschulen aller Art. Die Behörden werden hiebei genau zu untersuchen haben, ob wirklich eine Bedürftigkeit vorliegt und auch, ob die bisherigen Leistungen des Bewerbers in der Normalschule seine besondere Eignung zum höheren Studium erweisen. Was nun das höhere Schulwesen an sich betrifft, wäre es wünschenswert, dass dem Studierenden hier im Lande jene Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, welche ihm zum Eintritt in eine Hochschule im Auslande befähigen.

Neben diesen zwei wichtigen und in gewisser Beziehung auch dringenden Aufgaben gibt es noch eine Reihe anderer, deren Behandlung in den nächsten Jahren wünschenswert ist Ich weise auf eine Invalidenversicherung als Ausbau unserer Sozialgesetzgebung sowie auf die Weiterführung und den Abschluss der Kodifizierung und Modernisierung unserer Gesetze hin.

Wir haben vor kurzem in der Kirche zu Gott gebetet und wollen es auch in der Zukunft tun, auf dass Er die Arbeit des Landtages und der Behörden ebenso segne wie in den abgelaufenen Jahren.

Ich erkläre hiermit die Sessionsperiode des Landtages gemäss Artikel 54 der Verfassung für eröffnet.