Thronreden

20. März 1956

Thronrede, Fürst Franz Josef II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 20. März 1956


Das 150-jährige Jubiläum unserer Souveränität welches in diesem Jahre gefeiert wird, veranlasst mich, die Eröffnung der neuen Sessionsperiode des Landtages zu benutzen, um über unsere Eigenstaatlichkeit einige Worte zu sprechen.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, dem Liechtenstein angehörte, war ein Bundesstaat, in welchem die Gliedstaaten, die seit dem westfälischen Frieden die Landeshoheit erhalten hatten, unter der Oberhoheit der deutschen Kaiserkrone standen. Der 1806 auf den Trümmern des Heiligen Römischen Reiches gegründete Rheinbund fasste alle deutschen Staaten ausser Österreich und Preussen zu einem Staatenbund zusammen, welcher von den formell mit voller Souveränität ausgestatteten Gliedstaaten gebildet wurde.

Die Souveränität beinhaltet nach aussen die volle rechtliche Unabhängigkeit und nach innen die Macht des Staates, das Leben der Staatsbürger selbständig zu regeln. Für unser Volk bedeutete die Erlangung der Souveränität sowohl gegenüber der Umwelt als auch innenpolitisch eine bemerkenswerte Entwicklung gegenber dem früheren Zustand. Liechtenstein wurde gleichberechtigt mit allen anderen souveränen Staaten und formell frei von jeder überstaatlichen Bindung oder Verpflichtung. Als innenpolitische Folge der erlangten Souveränität ergab sich die Notwendigkeit des Ausbaues der Verfassung. Zur Zeit der Gründung des Rheinbundes war Liechtenstein eine absolute Monarchie, in der die Souveränität allein bei der Krone ruhte, wenn auch Institutionen, wie das Amt der Landammänner, als Garanten der persönlichen Rechte des Bürgers bestanden. Anlässlich der Gründung des Deutschen Bundes 1815 übernahmen die Gliedstaaten die Verpflichtung, eine moderne Verfassung einzuführen, in deren Folge Fürst Johann l. am 9. November 1818 die landständische Verfassung erliess. Es war dies der erste Schritt zur Schaffung einer Volksvertretung. Vierundvierzig Jahre später erliess mein Grossonkel Johannes die konstitutionelle Verfassung, welche auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung beruhte. Träger der Souveränität waren der Landesfürst und das Volk Dasselbe Prinzip war massgebend bei der Schaffung der neuen Verfassung von 1921, welche im öffentlichen Leben unseres Landes die Entwicklung der demokratischen Grundsätze zum endgültigen Abschluss brachte.

Unser Land ist wie jeder Staat die Gemeinschaft aller Bürger des Landes und man kann daher mit Fug und Recht in gewisser Beziehung Parallelen ziehen zwischen dem Leben und der Tätigkeit des Staates und des einzelnen Menschen. Wenn ein Mann bei uns grossjährig wird/ so tritt er ein in den Genuss seiner vollen Rechte. Der einzelne Mensch, im vollen Besitz seiner Rechte frei sich zu entscheiden, soll trachten, sich immer weiter emporzuarbeiten und gleichzeitig seiner Umwelt zu dienen zu deren grösserem Wohlergehen. Der Staat erlangt, sowie er souverän wird, auch die Befugnis, seine Rechte voll auszuüben. Daher hat Liechtenstein die Möglichkeit, als souveräner Staat ungehindert nach seinem Willen an der Weiterentwicklung des geistigen und körperlichen Wohles seiner Bürger zu arbeiten. Liechtenstein hat aber als souveräner Staat auch das Recht und die Pflicht, mitzuarbeiten am Wohle der Völkergemeinschaft. Wenn unser Land als kleiner Staat zu dieser Aufbauarbeit materiell wenig beitragen kann, so hat es doch die Möglichkeit und gleichzeitig auch die Pflicht, einen moralischen Beitrag hiezu durch seine positive Einstellung und Willensäusserung zu leisten. Ob unser Land diese Berufung zur Förderung des allgemeinen Wohles erfüllt, wie sie jeder Staat nach der von Gott gewollten Weltordnung hat, wird davon abhängen, wie sich der einzelne Liechtensteiner zu seinen Pflichten als Staatsbürger einstellt. Mein Wunsch zum Gedenktag der Eigenstaatlichkeit lautet dahin/dass begleitet von Gottes Segen, diese Mitarbeit des liechtensteinischen Bürgers am staatlichen Leben sich immer wirksamer gestaltet.

Ich erkläre somit die diesjährige Sessionsperiode des Landtages gemäss Artikel 54 der Verfassung für eröffnet