Thronreden

12. Mai 1993

Thronrede, Fürst Hans-Adam II.

Aufklappen und Zuklappen

Thronrede anlässlich der Eröffnung des Landtages am 12. Mai 1993



Zur Wahl in den Landtag möchte ich Ihnen allen herzlich gratulieren und Ihnen danken, dass Sie sich für die Politik in unserem Land einsetzen. Ich möchte aber auch die Gelegenheit benützen, all denen zu danken, die in der Vergangenheit dazu beigetragen haben und die jetzt nach den Landtagswahlen aus der aktiven Politik ausgeschieden sind.

Die Landtagswahlen haben mit dem erstmaligen Einzug einer dritten Partei die politische Landschaft verändert. Die Erfahrungen der letzten Wochen haben gezeigt, dass es in dieser neuen Situation den Parteien schwer fällt, ein Koalitionsabkommen zu vereinbaren. Ich bin sehr glücklich und mit mir sicher viele Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner, dass es doch noch kurz vor der Landtagseröffnung gelungen ist, sich auf die Regierungsbildung zu einigen. Sie und die zukünftige Regierung stehen vor einer besonderen Herausforderung, die nur erfolgreich gemeistert werden kann, wenn Sie das Wohl des Landes vor das Wohl der Partei stellen.

Der 28. Oktober hat sicher zu den politischen Veränderungen in unserem Land beigetragen. Das Interesse an unserer Verfassung und an unserer Staatsform hat zugenommen. Unmittelbar nach dem 28. Oktober habe ich die Vertreter der politischen Parteien darum gebeten, die Verfassungsdiskussion auf einen Zeitpunkt nach den Wahlen zu verschieben, um zu verhindern, dass dieses Thema in den Wahlkampf hineingezogen wird. Jetzt, nach den Wahlen, möchte ich gerne auch von meiner Seite die Diskussion über diesen Fragenkomplex aufgreifen und zur Rolle des Fürsten in diesem Staat Stellung nehmen.

Es wurde in Liechtenstein auch schon die Meinung vertreten, der Fürst solle sich, ähnlich wie die meisten anderen Staatsoberhäupter in Europa, in erster Linie auf Repräsentationsaufgaben beschränken. Abgesehen von den grösseren Verfassungsabänderungen, die dafür notwendig wären, sehe ich noch weitere Gründe, weshalb so eine Lösung für unser kleines Land nicht sehr sinnvoll wäre.

Die Erfahrungen in der Vergangenheit mit dieser Verfassung und der politischen Rolle des Fürsten waren positiv. In der heutigen Generation ist es etwas in Vergessenheit geraten, dass mein Vater, Fürst Franz Josef II., sehr wohl immer wieder kraft seines Amtes in die Landespolitik eingegriffen hat. 1938 wäre die Aussöhnung zwischen den zerstrittenen Parteien kaum zustande gekommen, hätte er nicht eingegriffen und mit der Anwendung des Notrechtes gedroht. Meinem Vater waren in dieser kritischen Zeit bessere Beziehungen zur Schweiz ein grosses Anliegen. Gegen den Willen von Regierung und Landtag hat er die liechtensteinische Botschaft in Bern errichtet und diese über Jahre selbst finanziert. Ob Liechtenstein mit einem nur repräsentativen Staatsoberhaupt den Zweiten Weltkrieg so gut überstanden hätte, kann man wohl bezweifeln. Auch nach dem Krieg hat Fürst Franz Josef II. immer wieder entscheidend in die Landespolitik eingegriffen. Meinungsverschiedenheiten sind damals allerdings weniger in der Öffentlichkeit bekannt geworden, denn der politische Stil war ein anderer.

Als Staatsoberhaupt nur mit Repräsentationsaufgaben wäre es mir nicht gelungen, Liechtenstein in die UNO zu bringen. Bezüglich der europäischen Integration hätten sich Regierung und Landtag mit ihrer ursprünglichen Politik durchgesetzt, die vorsah, das liechtensteinische Volk nach der Schweiz abstimmen zu lassen, damit es genau gleich wie das Schweizer Volk entscheidet. UNO und EWR-Mitgliedschaft werden noch von manchen Teilen der Bevölkerung abgelehnt, aber ich glaube, dass man eines Tages diese Entscheidungen als richtig und wichtig erkennen wird. Dieser Staat verdankt nicht nur seine Existenz der politischen Entscheidung eines Fürsten, sondern hat seither immer wieder von Entscheidungen der jeweiligen Fürsten profitiert.

Es gibt noch andere Gründe, weshalb eine Beschränkung des Fürsten auf Repräsentationsaufgaben nicht empfehlenswert erscheint. Liechtenstein ist sehr klein und der Umfang an sinnvollen Repräsentationsaufgaben sehr beschränkt. Ausserdem begleicht der Fürst - zum Unterschied von anderen europäischen Staatsoberhäuptern - die ihm aus seiner Aufgabe zufallenden Kosten aus dem Privatvermögen. Es würde sich nicht nur mir, sondern auch meinen Nachfolgern sehr schnell die Frage stellen, ob man nicht Zeit und Geld in eine sinnvollere Aufgabe investieren soll. Voraussichtlich würde wieder der Zustand eintreten, wie er bis 1938 bestand, als der Fürst im Ausland lebte und sich nur am Rande der Entwicklung im Fürstentum Liechtenstein widmete. Persönlich würde ich so eine Entwicklung bedauern, denn ich bin in diesem Land aufgewachsen und es ist meine Heimat.

Sowohl aus der Sicht des liechtensteinischen Volkes als auch aus jener des Fürstenhauses dürfte es das vernünftigste sein, grundsätzlich an der bewährten Lösung festzuhalten. Das bedeutet, dass wir hier im Land zwei Souveräne haben, und zwar das Volk und den Fürsten. Landtag und Regierung haben in unserem Staat sicher eine wichtige Aufgabe, aber das letzte Wort haben die beiden Souveräne. Der Landtag als Vertreter des Volkes hat gemäss unserer Verfassung Vorrang gegenüber der Regierung. Fürst und Landtag können gemäss Artikel 92 unserer Verfassung der Regierung Aufträge erteilen, an welche diese gebunden ist. Man kann davon ausgehen, dass Aufträge des Fürsten grösseres Gewicht haben als jene des Landtages. Der Fürst ist der Souverän, währenddem der Landtag den anderen Souverän vertritt. Dies gilt besonders im Bereich der Aussenpolitik, wo gemäss Artikel 8 der Verfassung der Fürst die Hauptverantwortung trägt.

Dies war einer der Punkte, welche zum Konflikt vom 28. Oktober geführt haben. Ein weiterer Punkt war die Frage, ob eine Regierung sowohl das Vertrauen des Fürsten als auch des Landtages benötigt. Nachdem die Regierung auf Vorschlag des Landtages vom Fürsten ernannt wird, benötigt sie meiner Ansicht nach nicht nur bei ihrer Ernennung, sondern während ihrer gesamten Amtszeit das Vertrauen des Fürsten und des Landtages. Eine Regierung, die das Vertrauen des einen oder des anderen verloren hat, wird ihre Aufgabe nicht erfüllen können.

Eine neue Vorgangsweise wird hoffentlich in Zukunft sicherstellen, dass nur jene Gesetze publiziert werden, welche verfassungsmässig zustande gekommen sind. Eine Lösung muss noch für die Frage der Beamtenernennung gefunden werden. Artikel 11 der Verfassung schreibt eindeutig vor, dass die Beamten vom Fürsten zu ernennen sind. Seit rund 25 Jahren hält man sich, aus was für Gründen auch immer, nicht mehr an diese Bestimmung, was für einen Rechtsstaat problematisch ist.

Um dieses Problem zu lösen, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder man hält sich an die Verfassung und alle Beamten werden vom Fürsten ernannt oder man ändert die Verfassung. Ob bei der stark gewachsenen Zahl der Staatsbeamten eine Ernennung durch den Fürsten noch zweckmässig ist, erscheint fraglich. Die Gefahr ist gross, dass entweder die Beamtenemennung durch den Fürsten ein rein formaler Akt ohne Bedeutung wird oder der Regierung die Kontrolle über den Beamtenapparat entgleitet. Es würde wohl dem Geist unserer Verfassung widersprechen, wenn der Fürst in der Praxis über den Beamtenapparat die laufenden Geschäfte führt.

Aus diesen Gründen habe ich schon vor Jahren als Stellvertreter und in Übereinstimmung mit meinem Vater der Regierung und dem Landtag eine Verfassungsänderung vorgeschlagen. Dieser Vorschlag entstand unter dem Eindruck der sich anbahnenden Krise um den Staatsgerichtshof, die dann 1989 zur vorzeitigen Auflösung des Landtages führte. In weiten Teilen unserer Bevölkerung herrscht die Ansicht vor, ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt, der Staatsgerichtshof und die Verwaltungsbeschwerdeinstanz seien politische Gremien, welche in erster Linie die Mehrheitsverhältnisse im Landtag widerspiegeln. Als Rechtsstaat sollten wir grösstes Interesse haben, jeden Verdacht von unserer Justiz fernzuhalten, dass dort parteipolitische Interessen eine Rolle spielen. Um dieses Ziel zu erreichen, erschien es mir gerechtfertigt, dass der Fürst auf das Ernennungsrecht bei den Beamten verzichtet und dafür das Vorschlagsrecht bei den Richtern erhält. Dadurch würde die Unabhängigkeit der Justiz gestärkt werden.

Der Fürst würde nach Sondierungsgesprächen und persönlichen Kontakten mit den Kandidaten dem Landtag die Persönlichkeiten für die Besetzung der Richterstellen vorschlagen. Nach der Zustimmung des Landtages würden die Richter vom Fürsten ernannt werden. Es wäre zu überlegen, inwieweit dieser Beschluss des Landtages nicht dem Referendum zu unterstellen wäre, um zu verhindern, dass Richter bestellt werden, welche zwar das Vertrauen von Fürst und Landtag haben, aber nicht das Vertrauen des Volkes.

Ich möchte aber nicht nur in diesem Punkt eine Änderung der Verfassung vorschlagen, sondern auch in Fragen, welche die Person des Fürsten und die Zukunft der Monarchie in unserem Land betreffen. Die starke Stellung des Fürsten in unserer Verfassung ist nur dann zu vertreten, wenn sichergestellt ist, dass der jeweilige Fürst charakterlich und intellektuell diese Aufgaben erfüllen kann. Das Fürstenhaus hat in den letzten Jahren den Entwurf für ein neues Hausgesetz ausgearbeitet, welches Lösungen vorsieht, sollte der jeweilige Fürst nicht in der Lage sein, die Aufgaben zu erfüllen, die ihm Kraft seines Amtes zukommen.

Wegen der starken Stellung des Fürsten im Land und weil die meisten Mitglieder des Fürstenhauses im Ausland leben, wird es für das Fürstenhaus unter Umständen schwierig sein, rechtzeitig die notwendigen Massnahmen gegen den Fürsten einzuleiten. Seine Durchlaucht der Erbprinz und ich sind deshalb der Meinung, dass man dem liechtensteinischen Volk über das Initiativrecht die Möglichkeit geben sollte, einen Misstrauensantrag gegen den Fürsten einzubringen.

Stimmt eine Mehrheit des liechtensteinischen Volkes für einen Misstrauensantrag gegen den Fürsten, so entscheidet das Fürstenhaus innerhalb einer gewissen Frist über die Amtsenthebung des Fürsten. Es wird das Fürstenhaus zu prüfen haben, aus welchen Gründen der Fürst das Vertrauen des Volkes verloren hat. Zu berücksichtigen gilt insbesondere, dass die Mehrheit nicht immer recht hat und es Aufgabe des Fürsten ist, die Rechte der Minderheiten und der Schwachen zu schützen sowie das langfristige Wohl von Volk und Land zu verteidigen. Es kann deshalb der Fall eintreten, dass im Gegensatz zum Volk das Fürstenhaus mehrheitlich der Meinung ist, der Fürst habe richtig gehandelt und solle nicht seines Amtes enthoben werden.

Seine Durchlaucht der Erbprinz und ich sind ausserdem der Meinung, dass in unserer Verfassung ein demokratisches Verfahren für die Abschaffung der Monarchie vorgesehen werden soll. Die Monarchie in Liechtenstein soll nicht dem Druck der Strasse weichen oder gestürzt werden, weil ein paar Hitzköpfe glauben, sie müssen hier mit einer Revolution die Republik einführen. In Gesprächen mit liechtensteinischen Persönlichkeiten über dieses Thema wurde verschiedentlich der Vorschlag gemacht, für so eine tiefgreifende Änderung unserer Verfassung eine qualifizierte Mehrheit vorzusehen. Sollte das monarchische Prinzip in unserer Verfassung so abgesichert werden, müsste dies aber meiner Ansicht nach auch für andere wichtige Verfassungsprinzipien gelten, wie das demokratische und das rechtsstaatliche Prinzip oder die Grund- und Freiheitsrechte.

Es kommt ein weiterer Punkt hinzu, der mir schon lange am Herzen liegt, und zwar die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes. Ich bin sehr glücklich, dass sich unser kleines Land nun international für das Selbstbestimmungsrecht einsetzt, aber um glaubwürdig zu sein, sollte es keine Zweifel geben, dass das Selbstbestimmungsrecht in unserem eigenen Land voll verwirklicht ist. Ohne eine weitere Verfassungsänderung könnte das Fürstenhaus über das Veto des Fürsten die Abschaffung der Monarchie selbst dann verhindern, wenn die grosse Mehrheit des Volkes jedes Vertrauen in diese Institution verloren hat. Damit wäre das Selbstbestimmungsrecht verletzt und politische Unruhen könnten die Folge sein.

Die Abschaffung der Monarchie sollte ein gut überlegter Vorgang sein, hinter dem die Mehrheit des Volkes steht und dessen Endpunkt nicht das Chaos ist, sondern wiederum ein geordnetes Staatswesen. Die Monarchie darf nicht an einem unbeliebten Fürsten scheitern, deshalb soll am Beginn dieses Prozesses zwingend der Misstrauensantrag gegen den Fürsten stehen. Innerhalb eines gewissen Zeitraumes, nachdem der Misstrauensantrag zustande gekommen ist, kann über eine Verfassungsinitiative der Prozess zur Abschaffung der Monarchie eingeleitet werden. Kommt die Initiative zustande, sollte es die Aufgabe des Landtages sein, wiederum innerhalb eines gewissen Zeitraumes eine abgeänderte Verfassung dem Volk vorzulegen. Wird diese neue Verfassung vom Volk angenommen, ist die Republik eingeführt, wird sie abgelehnt, bleibt die alte Verfassung mit der Monarchie.

Seine Durchlaucht der Erbprinz und ich haben mit Unterstützung von Professor Dr. Kohlegger, dem Präsidenten unseres Obersten Gerichtshofes, einen Entwurf für die Verfassungsänderungen ausgearbeitet. Diesen Entwurf werde ich der Regierung zur Beratung übergeben, damit er dann dem Landtag zur Behandlung weitergeleitet wird. Wenn der Landtag die Verfassungsänderungen beschlossen hat, wird das Fürstenhaus das neue Hausgesetz publizieren.

Der Landtag wird in diesem Jahr voraussichtlich nicht nur in diesen Verfassungsfragen, sondern auch noch in der Integrationspolitik wichtige Entscheidungen zu fällen haben. Ich wünsche Ihnen zu diesen für unser Land so wichtigen Aufgaben viel Erfolg und Gottes Segen.