Es gilt das gesprochene Wort.
Durchlauchter Landesfürst
Durchlauchte Landesfürstin
Durchlauchter Erbprinz
Königliche Hoheit
Durchlauchten
Geschätzte Mitglieder von Regierung und Landtag
Exzellenzen
Liebe Liechtensteinerinnen, liebe Liechtensteiner
Liebe Gäste
Bei der Eröffnung des Landtages im Januar dieses Jahres habe ich in Erinnerung gerufen, dass vor 75 Jahren der erste Staatsfeiertag begangen wurde. Auch habe ich Liechtenstein Marketing ermuntert, den diesjährigen Staatsfeiertag in diesen Zusammenhang zu stellen. Dies in der Überzeugung, dass es bei der Bewältigung heutiger und zukünftiger Aufgaben hilfreich ist, sich mit der eigenen Geschichte zu befassen.
Nach dem Ausbruch des 2. Weltkrieges war im Jahre 1940 die Ungewissheit über die Zukunft des Landes gross. Die Anhänger des Nationalsozialismus suchten den Anschluss an das Deutsche Reich und die Regierung empfand eine patriotische Einigkeitskundgebung als dringend notwendig. Die Entscheidung für einen Staatsfeiertag fiel daher in aller Eile, dieser sollte kirchlich und weltlich sein. Durch die Verbindung von Maria Himmelfahrt und dem Geburtstag des Fürsten Franz Josef II. wurde genau dieser Symbolik entsprochen. Der Staatsfeiertag sollte in allen Gemeinden zum Ausdruck des Willens zur politischen Unabhängigkeit und der Treue zur Heimat und zur Monarchie werden.
Wie ernst und unsicher die Lage im Lande war, zeigt sich darin, dass in der Nacht zum 15. August 1940 zum ersten Mal Fliegeralarm im Rheintal ertönte. Aber auch darin, dass am ersten Staatsfeiertag, parallel zu den Höhenfeuern der Pfadfinder, oberhalb des Meierhofs ein acht Meter hohes Hakenkreuz entfacht wurde. Eine Stärkung der nationalen Geschlossenheit und des Willens zum Erhalt der Heimat tat not. Der von patriotischer Gesinnung getragene Staatsfeiertag erwies sich als probates Mittel, um diesem Ziel näher zu kommen. Das Fürstenfest wurde in der Folge jedes Jahr am 15. August wiederholt.
Fünf Jahre nach der ersten Austragung wurde genau am liechtensteinischen Staatsfeiertag die Kapitulation Japans verkündet, womit der 2. Weltkrieg endgültig beendet war. In Europa war die Kapitulation schon am 7. Mai erfolgt. Die Zeit der Gefahr war vorbei. Was bleibt, ist die Erinnerung an den Kampf um den Erhalt unseres Staatswesens, an die kraftspendende Verbundenheit von Fürst und Volk und an die herausragende Bedeutung der damals blühenden Pfadfinderbewegung im Ringen um inneren Zusammenhalt.
Einige Inserate, die im Jahre 1940 die Kundmachung der Regierung zum Staatsfeiertag umrahmten, können uns heutzutage erheitern, lassen aber auch die Lebensumstände der damaligen Zeit erahnen:
So zeigt die Ausschreibung des Arbeitsmarktes Vaduz (Tel. Nr. 12) ein nicht gerade berauschendes Angebot: „Gesucht 1 Melker zu 12 - 14 Kühen nach Ragaz, Dauerstelle, 100 Fr. Lohn, und 4 – 5 Maler für längere Zeit nach Lindau.“
Der Metzgerverband liess in den Zeitungen verlauten:
„Wegen des grossen Papiermangels werden die löblichen Hausfrauen gebeten, beim Einkauf richtige Taschen mitzubringen.“
Eine Mitteilung der Fürstlichen Regierung mit dem fetten Titel „Warnung an die Lastwagenbesitzer“ lässt auf ideenreiche Geschäftstätigkeit schliessen: „Wiederholt ist in letzter Zeit festgestellt worden, dass die Lastwagenbesitzer Personen auf der Ladebrücke als zahlende Passagiere mitführen. Die fürstliche Regierung sieht sich veranlasst, darauf hinzuweisen, dass in jedem festgestellten Falle gerichtliche Bestrafung erfolgt.“
Recht aussagekräftig sind auch zwei Inserate des Maseschawirtes:
„Ausflügler! Erreichen Sie auf staubfreier Autostrasse Masescha!“
Und derselbe Wirt ein paar Wochen später:
„Ausflügler! Wer kein Benzin mehr hat, macht eine Fusswanderung über Wildschloss nach Masescha!“
Geschätzte Gäste,
75 Jahre sind seither vergangen. Im Vergleich mit der Geschichte der Menschheit ein Wimpernschlag, ein Nichts. Und doch haben sich in dieser Zeit unser Land und die liechtensteinische Gesellschaft in einer Art verändert, die auch in kühnsten Vorstellungen undenkbar gewesen wäre. Lassen Sie mich dies an ein paar wenigen Beispielen verdeutlichen:
Mitten im Schaaner Dorfzentrum stand eine mechanische Werkstätte, in der ein paar Dutzend Mitarbeiter tätig waren. Aus dieser Werkstätte ist im Laufe der Jahrzehnte ein Weltkonzern gewachsen, der mehr als 20‘000 Mitarbeitende beschäftigt.
Das Telefonverzeichnis der Gemeinde Schellenberg wies genau zehn Anschlüsse auf. Heute zählt man in einer einzigen Schulklasse die doppelte Anzahl Telefone.
Die meisten Familien waren in erster Linie Selbstversorger, die von dem lebten, was Feld und Stall hergaben.
Lehrpersonen mussten in einer Schulklasse zum Teil bis zu 60 Schüler unterrichten. Höhere Bildung war nur einem verschwindend kleinen, männlichen und im Regelfall betuchten Kreis zugänglich.
Die Bevölkerungszahl lag unter der Hälfte des heutigen Standes.
Die Suche nach Arbeit und Glück im Ausland war für junge Menschen eine ständige Verlockung.
Wie anders sieht unsere heutige Welt doch aus. Dem Aufschwung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wird nur die Bezeichnung Wirtschaftswunder gerecht. Liechtenstein heute, das heisst: Ein grossangelegter Industriesektor mit mehreren Weltkonzernen, ein Finanzplatz mit internationaler Ausrichtung, eine riesige Dichte an KMUs, ein hervorragendes Bildungssystem und eine moderne Gesellschaft. Die Anzahl Arbeitsplätze im Land ist in etwa identisch mit der Anzahl Einwohner, täglich pendeln 20‘000 Arbeitskräfte ins Land. Eine stabile Staatsordnung, aber auch glückliche Umstände und eine fleissige und immer besser ausgebildete Bevölkerung haben uns einen niemals vorstellbaren Wohlstand erreichen lassen.
Liebe Liechtensteinerinnen, liebe Liechtensteiner,
Die Frage sei erlaubt: Hat uns das alles glücklicher gemacht? Wer eine Ahnung von der Mühseligkeit der damaligen Zeit hat, wird mit einem überzeugten JA antworten. Aber es gibt Stimmen, die den Preis des immer fortschreitenden Wachstums als zu hoch erachten. Kinder haben nicht mehr hinter jedem Haus eine grosse Wiese, auf der man auf Bäume klettern oder Fussball spielen kann. Der Preis für ein kleines Grundstück und ein darauf erbautes Eigenheim entspricht heute dem halben Lebenslohn eines durchschnittlich verdienenden Berufstätigen. Auch bereitet die sich immer weiter öffnende Einkommens- und Vermögensschere Sorgen.
Wir müssen uns sehr ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wohin die Reise gehen soll. Wie soll das Fürstentum Liechtenstein am hundertsten Staatsfeiertag aussehen?
Unseren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Heimat zu erhalten, muss unsere erste Aufgabe sein. Auch müssen wir dafür besorgt sein, einen breiten Mittelstand zu bewahren, d.h. möglichst vielen Menschen Eigentumsbildung zu ermöglichen. Eine der grossen Herausforderungen, denen sich unser Kontinent und damit auch unser Land derzeit gegenüber sehen, sind die gewaltigen Flüchtlingsströme und die damit verbundenen Dramen. Und das ist erst der Anfang. Die UNO geht in ihrer jüngsten Studie davon aus, dass die Weltbevölkerung in 25 Jahren neun Milliarden übersteigen wird. Die Bevölkerung Afrikas soll sich in dieser Zeit verdoppeln. Dann werden vier Mal mehr Menschen auf dem Planeten leben als im Jahre 1940. Man kann nur erahnen, welch gewaltige Menschenbewegungen hin zu Arbeit und Nahrung dies auslösen wird.
Damit komme ich zum Ausgangspunkt meiner Ansprache. Das Zusammengehen der beiden Souveräne Fürst und Volk, der innere Zusammenhalt und das gemeinsame Wirken aller guten Kräfte im Land waren in gefahrvoller Zeit unsere Erfolgsfaktoren. Diese Werte sind heute genauso erstrebenswert und nützlich wie damals. Und so wird es auch in Zukunft sein.
Durchlauchten, liebe Landsleute, liebe Gäste
Ohne zu zögern wage ich eine Prognose: Den Staatsfeiertag wird es auch in 25 Jahren noch geben. Für die meisten Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner ist dies ein Tag der Freude, der Verbundenheit und der Glücksgefühle. Heute wollen wir uns uneingeschränkt unserer schönen Heimat erfreuen. Danach wollen wir damit fortfahren, verantwortungsbewusst die Zukunft unseres Landes zu gestalten. Eine Zukunft, in der persönliche Entfaltung, Gerechtigkeit, Lebensqualität und Lebensfreude ihren Platz haben.
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Festtag und Gottes Segen.