Interpellation zur künftigen Ausrichtung des Landesspitals im Rahmen einer gesundheitspolitischen Gesamtstrategie der Abgeordneten Manfred Kaufmann, Frank Konrad, Violanda Lanter-Koller, Günter Vogt, Thomas Vogt, Christoph Wenaweser und Mario Wohlwend vom 7. August 2017
Landtagspräsident Albert Frick
Wir kommen zu Traktandum 6: Interpellation zur künftigen Ausrichtung des Landesspitals im Rahmen einer gesundheitspolitischen Gesamtstrategie, Interpellation der Abgeordneten Manfred Kaufmann, Frank Konrad, Violanda Lanter-Koller, Günter Vogt, Thomas Vogt, Christoph Wenaweser und Mario Wohlwend vom 7. August 2017.Wird hierzu das Wort gewünscht?Abg. Violanda Lanter-Koller
Danke, Herr Präsident, für das Wort. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete. Die Wellen schlugen hoch, als bekannt geworden ist, dass der Landtag zur Abgeltung der Gemeinwirtschaftlichen Leistungen des Liechtensteinischen Landesspitals einen Nachtragskredit im Umfang von CHF 2,5 Mio. für das Jahr 2017 sprechen soll, um die Liquidität des Landesspitals sicherzustellen. Zudem wurde in Aussicht gestellt, dass für das Jahr 2018 CHF 1,5 Mio. und für das Jahr 2019 CHF 0,5 Mio. an zusätzlichen Mitteln gegenüber der heutigen Globalkreditvereinbarung beantragt werden müssen, um 2020 wieder in den schwarzen Zahlen zu sein. Doch damit nicht genug: Der Landtag werde im Herbst dieses Jahres noch mit dem Antrag für einen Verpflichtungskredit in Höhe von CHF 9,8 Mio. für dringend notwendige Bauinvestitionen am Landesspital begrüsst. Als Begründung für die unerwartet hohen Ertragseinbussen am Landesspital wird vor allem der Fallrückgang von Februar bis Juni 2017 von rund 30% im stationären Bereich und von knapp 13% im ambulanten Bereich genannt. Dies als Auswirkung der Eröffnung der Privatklinik Medicnova im Januar 2017 durch Ärzte, welche in den Jahren vor 2017 als umsatzstarke Belegärzte am Landesspital tätig waren. Aufgrund eines Kooperationsvertrags mit dem Spital Grabs würden diese ehemaligen Belegärzte nicht zusatzversicherte Patienten nach Grabs überweisen und auch die Zuweisungen für ambulante Abklärungen hätten markant abgenommen. Zu Recht sind aufgrund dieser Entwicklungen viele Fragen aufgetaucht, stimmten die letzten Berichterstattungen aus dem Landesspital doch zunehmend zuversichtlich. Aus diesem Grund haben sich die VU-Interpellanten auch bemüht, die Vielzahl von Fragen innert zwei Wochen in eine Interpellation zu giessen. Die Regierung muss die dringend notwendigen Antworten liefern, bevor im Herbst wie angekündigt der Verpflichtungskredit über rund CHF 10 Mio. dem Landtag vorgelegt wird. Inzwischen hat die Fraktion der Vaterländischen Union auch bekannt gegeben, dass sie nicht bereit ist, ohne Vorliegen der Interpellationsbeantwortung auf den Finanzbeschluss einzutreten. Wir sind überzeugt, dass die Interpellation die Möglichkeit eröffnet, die strategische Ausrichtung des Landesspitals in den Kontext einer übergeordneten und langfristig ausgelegten gesundheitspolitischen Gesamtstrategie zu stellen und entsprechend zu hinterfragen. Die Regierung ist zuständig dafür, eine solche Gesamtstrategie zu erarbeiten, und sie ist aufgefordert, mit allen Akteuren im Gesundheitswesen in einen konstruktiven Dialog zu treten. Leider stellen wir fest, dass andere Parteien, anstatt einen lösungsorientierten Weg zu wählen, lieber Parteipolitik betreiben. Die Freie Liste ist offenbar bereit, dem Landesspital per sofort die Unterstützung zur Aufrechterhaltung der Liquidität zu verweigern und die Arbeitsplätze der 180 Angestellten im Landesspital zu gefährden. Andere Abgeordnete haben bereits in gewohnter Manier die Schuldigen für die aktuellen Entwicklungen gefunden und fordern Köpferollen. Verantwortungsvolle Politik schaut anders aus, schliesslich geht es um nichts weniger als das Landesspital.Gerne lese ich nun die 22 Fragen vor, die die unterzeichnenden VU-Abgeordneten, gestützt auf Art. 45 der Geschäftsordnung vom 19. Dezember 2012 für den liechtensteinischen Landtag, am 7. August 2017 eingereicht haben. Wir laden die Regierung ein, dem Landtag die Interpellationsbeantwortung zukommen zu lassen, bevor der in Aussicht gestellte Verpflichtungskredit für bauliche Massnahmen dem Landtag zur Behandlung vorgelegt wird. Die Fragen: - Weshalb halten die Regierung und der Stiftungsrat des Landesspitals an der Eignerstrategie 2012 und an den Empfehlungen der Regierung an die Besondere Landtagskommission vom Oktober 2012 bezüglich des Leistungsumfangs des Landesspitals grundsätzlich fest, obwohl die Fallzahlen derzeit sinken und es aus heutiger Sicht wohl unwahrscheinlich ist, dass die Geburtsabteilung eines Tages wieder eröffnet werden kann?
- Inwieweit ist es nach begründeter Ansicht der Regierung sinnvoll oder nicht sinnvoll, die Eignerstrategie 2012 den aktuellen Entwicklungen in Liechtenstein und den regionalen Gesundheitslandschaften (Kantone St. Gallen und Graubünden sowie Land Vorarlberg), wo öffentliche Spitäler modernisiert und neue Privatkliniken aus dem Boden schiessen, anzupassen und das Leistungsangebot zu modifizieren?
- Wie kann sich das Landesspital in Zukunft überhaupt noch positionieren und welche Nische kann es besetzen? Bis wann ist allenfalls mit einer neuen Strategie für das Landesspital zu rechnen und welche strategischen Ausrichtungen sind erfolgversprechend?
- Neben dem Aufbau der Inneren Medizin und der Stärkung der Chirurgie als integriertes Chefarztsystem, der Sicherstellung eines 24-Stunden-Notfalldienstes und der Anstellung eines Chefarztes Anästhesie sowie der inzwischen etablierten vertikalen Kooperation mit dem Kantonsspital Graubünden sollen ergänzende Gebiete auch weiterhin durch Belegärzte abgedeckt werden. Woher möchte das Landesspital diese rekrutieren und unter Vertrag nehmen, nachdem die umsatzstärksten Belegärzte nun an der Privatklinik Medicnova in Bendern operieren? Inwieweit könnten die diesbezüglichen Wünsche des Landesspitals im Rahmen der Bedarfsplanung berücksichtigt werden?
- Mit welchen Massnahmen kann verhindert werden, dass dem Landesspital die lukrativen Patienten mit Zusatzversicherung zunehmend abhanden kommen, da die privaten Player auf dem lokalen und regionalen Gesundheitsmarkt diese wohl zwangsläufig abschöpfen?
- Der dramatische Rückgang der Fallzahlen am Landesspital und damit der Einnahmen werden im Bericht und Antrag zur Genehmigung eines Nachtragskredits zur Sicherstellung der Grundversorgung im Liechtensteinischen Landesspital darauf zurückgeführt, dass die umsatzstärksten Belegärzte im Bereich der Chirurgie eine eigene Privatklinik gegründet haben und daher heute insgesamt weniger Patienten dem Landesspital zugewiesen werden. Wie haben sich die Fallzahlen zwischen 2014 und 2017 vor welchem konkreten Hintergrund entwickelt und weshalb wurde der Einfluss der Medicnova dermassen unterschätzt?
- Gemäss Aussagen von Gesundheitsminister Mauro Pedrazzini wird der Trend «von stationär zu ambulant» aufgrund technologischer Entwicklungen weiter voranschreiten. Welchen Einfluss wird dies auf die Fallzahlen am Landesspital haben?
- Weshalb ist die Privatklinik Medicnova für die Allgemeinversicherten eine Kooperation mit Grabs anstatt mit dem Landesspital eingegangen? Vonseiten des Landesspitals und der Verantwortlichen der Medicnova gibt es hier widersprüchliche Aussagen. Kurz zusammengefasst sagt der Landesspital-Stiftungsrat, dass die Medicnova offenbar auch parallel Gespräche mit Grabs geführt habe und er
von diesem Schritt völlig überrascht worden sei, während es vonseiten der Medicnova heisst, dass die Belegärzte vom Landesspital nur hingehalten worden seien und sich mit Forderungen konfrontiert gesehen hätten, die nicht erfüllbar gewesen wären. Worin liegen nach den Erkenntnissen der Regierung nun die wirklichen Gründe, dass OKP-Patienten von den Medicnova-Ärzten nun in Grabs statt in Vaduz operiert werden?
- Weshalb haben auch die Zuweisungen durch die ehemaligen Belegärzte an das Landesspital für ambulante Abklärungen, insbesondere in der Radiologie (MRI/CT), abgenommen?
- Wie gestaltet sich die Zuweisungspraxis vonseiten der übrigen niedergelassenen Ärzte an das Landesspital vor dem Hintergrund, dass einige von ihnen offenbar auch finanziell an der Medicnova beteiligt sind?
- Inwieweit wird eine horizontale Kooperation des Landesspitals mit Grabs auch in Zukunft ausgeschlossen?
- Welche positiven Effekte, insbesondere auf die Fallzahlen und die Ertragssituation, verspricht sich das Landesspital vom Aufbau einer Abteilung für Akutgeriatrie?
- Seit der Ablehnung des Neubaukredits im Oktober 2011 wurden mehr als CHF 10 Mio. in die Infrastruktur des 40 Jahre alten Gebäudes investiert. Nun sind weitere Investitionen, insbesondere im Bereich der Akutgeriatrie sowie der Renovation der Patientenzimmer und für Räumlichkeiten für ambulante Behandlungen, in Höhe von CHF 10 Mio. geplant. Was wird diesen Investitionen folgen? Wie viel darf nach Ansicht der Regierung ein Landesspital die Allgemeinheit jährlich und laufend investiv kosten?
- Inwieweit könnten Grundversorgungsleistungen nicht auch mit Leistungsaufträgen an Private oder im Rahmen von Public-private-Partnerships (PPP) gewährleistet werden? Welche Möglichkeiten sieht die Regierung grundsätzlich für Privatkliniken, sich an der Grundversorgung von Allgemeinversicherten zu beteiligen? Welches sind die wichtigsten Argumente der Regierung für die Führung und Erhaltung eines eigenen Landesspitals?
- Vonseiten der Medicnova wurde in den Landeszeitungen kommuniziert, dass die dortigen Belegärzte zum Beispiel in der invasiven Kardiologie (gehört im Leistungsangebot des Landesspitals zu den ausgeschlossenen Leistungen) und in der Gefässmedizin auch gerne zur Grundversorgung der liechtensteinischen Patienten beitragen möchten. Laut Gesellschaftsminister Mauro Pedrazzini hat die Medicnova um OKP-Verträge für verschiedene medizinische Versorgungsbereiche angesucht. Um welche handelt es sich hierbei und welche davon bieten dem Gesundheitswesen in Liechtenstein einen Mehrwert oder können zu Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen führen?
- Grundvoraussetzung für den Erhalt von OKP-Verträgen ist selbstverständlich, dass die Privatklinik Medicnova in Bendern die letztlich wirtschaftlich Berechtigten gegenüber den zuständigen Behörden offenlegt. An welche Bedingungen knüpft die Regierung die Vergabe allfälliger OKP-Verträge im Hinblick auf den Art. 16 Abs. 2 des Ärztegesetzes vom 22. Oktober 2003, wonach ein Arzt sich nicht finanziell an Unternehmen beteiligen darf, von welchen er Heilmittel und/oder medizinische Dienstleistungen bezieht oder bei welchen er medizinische Dienstleistungen anordnet? Welche rechtlichen Möglichkeiten erkennt die Regierung, durch inzwischen offenkundig errichtete Konstrukte unter Zuhilfenahme von Stiftungen auf die letztendlich wirtschaftlich Berechtigten durchzublicken?
- Ein in Liechtenstein praktizierender Arzt hat in einem am 21. Juli 2017 im «Vaterland» veröffentlichten Leserbrief moniert, dass Art. 16 Abs. 2 des Ärztegesetzes im Jahre 2003 eingeführt worden sei, um zu verhindern, «dass sich Ärzte an arztfremden Unternehmen, zum Beispiel an einer Physio- oder Ergotherapie beteiligen, weil die Politik befürchtete, sie würden dann um des Gewinns willen
Therapien anordnen, die medizinisch nicht notwendig wären». Was sagt die Regierung zu dieser Interpretation der entsprechenden Bestimmung im Ärztegesetz? Wie sieht die Regierung aus heutiger Sicht den Sinn und Geist dieser Bestimmung im Zusammenhang mit Privatkliniken?
- Inwiefern hängt allenfalls die Erteilung der definitiven Betriebsbewilligung an die Medicnova mit Art. 16 Abs. 2 des Ärztegesetzes zusammen?
- Welche Möglichkeiten sieht die Regierung, bei einer Beteiligung von Privatkliniken an der Grundversorgung deren medizinische Qualität zu sichern?
- Wie sieht die Regierung die Sicherstellung einer 24-Stunden-Notfallversorgung in den kommenden Jahren? Welche Rolle spielen dabei das Landesspital, die niedergelassenen Ärzte mit OKP-Verträgen und allenfalls Privatkliniken?
- Wie soll das liechtensteinische Gesundheitswesen in zehn bis 20 Jahren ausschauen? Inwieweit gedenkt die Regierung, angesichts des markanten Ausbaus des regionalen Angebots vonseiten modernisierter öffentlicher Kliniken und privater Kliniken und der damit drohenden Kostensteigerungen durch Mengenausweitungen eine übergeordnete und langfristig ausgelegte gesundheitspolitische Gesamtstrategie zu erarbeiten, in der alle Leistungserbringer inklusive Pflegeheime und Familienhilfen berücksichtigt werden?
- Der Regierung liegt eine Studie «Volkswirtschaftliche Bedeutung der Spitalversorgung im Fürstentum Liechtenstein» vom Februar 2011 vor, die Tilman Slembeck, Professor für Volkswirtschaftslehre und Dozent an der Universität St. Gallen, verfasst hat. Weiter hat das Ministerium für Gesellschaft dem Prüfungs- und Beratungsunternehmen PwC den Auftrag erteilt, Lösungsansätze zu evaluieren, wie das Kostenniveau oder -wachstum im ambulanten Gesundheitssektor beeinflusst werden kann. Der entsprechende Bericht vom 28. August 2015 «Reform Gesundheitswesen» liegt der Regierung vor. Weiter hat PwC am 25. Januar 2017 dem Gesellschaftsministerium eine Diskussionsgrundlage zur «Zukunft Gesundheitsberufe» abgeliefert. Welches sind die wichtigsten Erkenntnisse und Lösungsansätze aus den drei genannten Papieren, welche die Regierung mit grosser Wahrscheinlichkeit in eine gesundheitspolitische Gesamtstrategie einarbeiten möchte? Danke.
Landtagspräsident Albert Frick
Vielen Dank. Gibt es weitere Wortmeldungen? Das ist nicht der Fall. Wir werden die Interpellation an die Regierung weiterleiten. Damit haben wir Traktandum 6 erledigt. -ooOoo-